REFLECT im Gespräch mit Christian Harms zur Einführung Kollegialer Führung bei dm

            REFLECT im Gespräch mit Christian Harms zur Einführung Kollegialer Führung bei dm

             

            Christian Harms ist seit 1996 ein echtes dm-Kind. Nach seinem dualen Studium, das er 1999 abschloss, durchlief er verschiedene Stationen im Unternehmen: von der Filialleitung über die Gebietsverantwortung und das Sortimentsmanagement bis hin zur Geschäftsleitung, die er Anfang 2008 übernahm.

            Seitdem verantwortet Harms das Ressort Mitarbeiter und ist somit für über 300 Filialen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Saarland, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg zuständig. Lange Zeit war er der jüngste Geschäftsführer im Unternehmen.

            Christian Harms‘ Aufgabenbereich ist besonders spannend: Einerseits ist er als Arbeitsdirektor für die gesamten Mitarbeiter verantwortlich, andererseits führt er die übergreifende Filialwelt mit ca. 6.000 Mitarbeitern. In dieser Funktion arbeitet er eng mit 12 Gebietsleitern zusammen.

             

            Christian Harms dm

            Bildquelle: dm

            REFLECT: Wie ist Dein Interesse an kollegialer Führung entstanden?

            Christian Harms: Durch eine Reorganisation im Unternehmen kam die Frage auf, ob die Gruppe der Berater für Aus- und Weiterbildung (BAW) in das Ressort Mitarbeiter wechseln sollte. Im Geschäftsleitungskreis wurde dies diskutiert und die Frage nach der optimalen organisatorischen Umsetzung gestellt.

            REFLECT: Was hat Dich beim Ansatz von Oesterreich-Schröder in Bezug auf kollegiale Führung überzeugt?

            Christian Harms: Verschiedene Bücher, u.a. von Pfläging, Laloux, Kotter und Oesterreich-Schröder, befassten sich mit der Frage, wie man Silodenken aufbrechen und Hierarchie anders leben kann. Pfläging stellt vor allem den Ansatz der Subsidiarität in den Mittelpunkt. Das bedeutet, dass Entscheidungen so weit wie möglich auf der niedrigst möglichen Ebene getroffen werden sollen. Dies fördert die Eigenverantwortung der Mitarbeiter und führt zu einer schnelleren und effizienteren Entscheidungsfindung. Bei Laloux waren vor allem die Aspekte der Selbstführung interessant. Der Ansatz von Oestereich-Schröder bietet viele praktische Hilfsmittel, die es uns erleichtern, die Prinzipien der kollegialen Führung in der Praxis umzusetzen.

            REFLECT: Was waren aus Deiner Sicht die wichtigsten Ziele der Einführung kollegialer Führung?

            Christian Harms: Die wichtigsten Ziele waren die Förderung von Selbstorganisation und Subsidiarität, d.h. Entscheidungen dort zu treffen, wo das größte Know-how liegt, die Stärkung der Selbstorganisation und Entscheidungsfindung auf der Mitarbeiterebene sowie die Förderung von Eigenverantwortung und Identifikation mit der Arbeit.

            Mich hat begeistert, dass kollegiale Führung zu einer spürbaren Verbesserung der Arbeitskultur bei dm geführt hat. Die Mitarbeiter sind motivierter und engagierter, die Zusammenarbeit ist besser und die Entscheidungsfindung ist schneller und effizienter.

            REFLECT: Warum hast Du Dich trotz der bereits etablierten dialogischen Führung für die Einführung der kollegialen Führung entschieden?

            Christian Harms: Mein Interesse an kollegialer Führung entstand aus mehreren Gründen. Zum einen haben wir bei dm viele Mitarbeiter, die in anderen Unternehmen "sozialisiert" wurden und nicht alle direkt bei dm ausgebildet wurden. Diese Mitarbeiter bringen unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven mit ein, die für die Weiterentwicklung des Unternehmens sehr wertvoll sind. Kollegiale Führung bietet die Möglichkeit, diese unterschiedlichen Potenziale besser zu nutzen und die Mitarbeiter stärker einzubinden.

            Zum anderen habe ich beobachtet, dass die klassische Hierarchie in einigen Bereichen an ihre Grenzen stößt. Die Welt verändert sich immer schneller und die Herausforderungen werden komplexer. In einer hierarchischen Organisation kann es schwierig sein, schnell und flexibel auf diese Herausforderungen zu reagieren. Kollegiale Führung kann hier eine Lösung sein, da sie mehr Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung ermöglicht.

            Kollegiale Führung ist für uns keine Alternative zur dialogischen Führung, sondern eine Ergänzung. Dialogische Führung ist wichtig, um eine offene und vertrauensvolle Kommunikation zwischen den Mitarbeitern und den Führungskräften zu fördern. Kollegiale Führung hilft uns, den Blick auf die Sache und den Kunden zu richten und Entscheidungen schneller und effizienter zu treffen. Sie fördert außerdem die Lern- und Innovationskultur im Unternehmen.

            REFLECT: Was waren die ersten Schritte bei der Einführung?

            Christian Harms: Der erste Schritt war ein Gespräch mit den Bereichsverantwortlichen. Anschließend wurde die Anzahl der Bereiche von 8 auf 4 verringert. In diesem Bereich haben wir die Hierarchie abgeflacht und die Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf mehrere Personen verteilt.

            Früher, in der klassischen Hierarchie waren die Gebietsleiter weit weg vom Tagesgeschäft, Aufgaben wurden „irgendwohin“ delegiert. Jetzt haben wir eine Ebene herausgenommen, d.h., der Gebietsleiter war jetzt nicht mehr für nur 8 sondern für 30 Filialen zuständig. Das hatte zur Folge, dass er diese nicht mehr täglich besuchen konnte. Die Filialleiter mussten also eigenständiger werden.

            Die Einführung der kollegialen Führung haben wir schließlich mit einem Pilotprojekt in einem Bereich gestartet.

            REFLECT: Wie kann man sich das Vorgehen im Pilotbereich vorstellen?

            Christian Harms: Der Pilot begann mit den BAWs (Berater für Aus- und Weiterbildung). Sie wurden in das Ressort Mitarbeiter integriert und erhielten eine Entwicklungsbegleiterin, die sie beim Prozess der kollegialen Führung unterstützte und die notwendigen Rahmenbedingungen schuf.

            Warum wir uns für die BAW’s entschieden haben? Erstens: Sie sind es gewohnt, zu lernen und sich anzupassen. Durch die Sonderstellungen in den Regionen waren sie von vornherein gezwungen, selbständig zu arbeiten und neue Herausforderungen proaktiv anzugehen. Außerdem haben sie ein eng gefasstes Tätigkeitsfeld, welches es uns ermöglichte, die Veränderungen klar zu definieren und auf die notwendigen Schritte zu fokussieren. So konnten wir die Eintrittsbarrieren für die Umsetzung geringhalten.

            REFLECT: Die Entwicklungsbegleiterin war eine Mischung aus Prozessbegleiterin und Führungskraft. War dies eine temporäre Position?

            Christian Harms: Ja, die Stelle war von Anfang an temporär angedacht. Die Kollegin kam aus den eigenen Reihen und war bereits früh im Selbstorganisationskreis involviert. Sie wurde für diese spezielle Rolle freigestellt, um den Prozess zu begleiten. Sie hatte die Möglichkeit, nach Abschluss des Projekts wieder in ihre alte Position zurückzukehren.

            REFLECT: Führungsaufgaben werden bei der kollegialen Führung auf mehrere Personen verteilt. Dies habt Ihr genutzt und sogenannte Kreisrollen etabliert. Wie funktioniert das konkret?

            Christian Harms: Wir haben acht große Themenfelder identifiziert und diese in Form von Kreisrollen an die Mitarbeiter verteilt. So wird die Führungsaufgabe auf mehrere Personen verteilt und die Entscheidungsfindung dezentralisiert. Eine Delegationsmatrix definiert die Verantwortlichkeiten und Entscheidungsprozesse. Praktisch kann man sich das so vorstellen: Wir denken heute stärker als früher in Prozessen und Produkten – die fachliche Führung. Es gibt bspw. eine Gruppe von Produktverantwortlichen, nicht nur einen. Diese Gruppe wiederum übernimmt unterschiedliche Führungsaufgaben in Kreisrollen wie bspw. Dokumentar, Kreisverbinder usw.

            Und wir wollen weitere Teams überführen bei der Frage von disziplinarischer Führung. Dazu gibt es 2 Teams, die das ausprobieren und die guten Ergebnisse aus den BAW Teams in ihre tägliche Führungsarbeit integrieren. Bei einigen Kollegen herrschte anfangs Aufregung, dass sie sich jetzt noch mehr selbst führen können und noch mehr Verantwortung übernehmen dürfen. Aber es gibt keine Deadlines, sondern das Ganze setzt darauf, dass sich die positiven Ergebnisse fortpflanzen werden.

            REFLECT: Wie gehst Du/Ihr mit der Herausforderung um, dass Führungskräfte sich durch die Einführung kollegialer Führung überflüssig fühlen könnten?

            Christian Harms:  Die Führungskräfte wurden von Anfang an in den Transformationsprozess eingebunden. Wir haben außerdem deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, sie abzuschaffen, sondern ihre Rolle zu verändern. Sie werden weiterhin gebraucht, um die Teams zu coachen, die Rahmenbedingungen zu gestalten und schwierige Entscheidungen zu treffen.

            REFLECT: Wie sieht Dein Zukunftsbild für die kollegiale Führung bei dm aus?

            Christian Harms: Ich sehe die Zukunft der Führung bei dm in einer hybriden Form, die sowohl Elemente der klassischen Hierarchie als auch der kollegialen Führung beinhaltet. Die Art und Weise der Führung wird sich weiterentwickeln und an die jeweiligen Bedürfnisse der Teams und die Herausforderungen der Zukunft anpassen. Kollegiale Führung ist für mich kein abgeschlossenes Modell. Es wird immer wieder auf den Prüfstand gestellt und weiterentwickelt.

            REFLECT: Was sind, aus Deinen bisherigen Erfahrungen, Deine Empfehlungen für Unternehmen, die ihre Organisation zukunftsfähig machen möchten?

            Christian Harms: Regelmäßige Kommunikation, Beteiligung der Mitarbeiter, Mut zum Experimentieren, Konsequenz und die Bereitschaft, sich mit kritischen Fragen auseinanderzusetzen.

            REFLECT: Christian, vielen Dank für das Gespräch!

             

            Transparenzhinweis: Das Gespräch mit Christian Harms wurde am 15. Dezember 2023 von Ingo Kallenbach geführt. REFLECT begleitet seit ca. 2,5 Jahren die Initiative zur Einführung kollegialer Führung bei dm Drogeriemarkt.

             

            Beschäftigen Sie sich bereits mit dem Konzept der kollegialen Führung? Bei REFLECT stehen wir Ihnen zur Seite, um einen genauen Blick auf Ihre Situation zu werfen, möglichen Handlungsbedarf an den richtigen Stellen zu erkennen und differenzierte Schlussfolgerungen zu ziehen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse erarbeiten wir praktikable und umsetzbare Lösungsansätze. Wir unterstützen Sie auf diesem Weg! 

             

            Bildquelle: https://www.dm.de/unternehmen/kurzportraet/geschaeftsfuehrung-163454#harms 

             


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