Verteilte Führung: Chancen und Risiken

            Verteilte Führung: Chancen und Risiken

            Was ist verteilte Führung?

            Grundsätzlich gibt es vier Möglichkeiten (siehe Abbildung 1), Führung zwischen mehreren Personen aufzuteilen (Endres & Weibler, 2019).

            verteilte führung-1Abbildung 1: Verteilte Führung

            Die ersten beiden Varianten teilen Führung unter zwei Personen auf, die formal eine Führungsposition innehaben. In dieser Notiz legen wir den Fokus jedoch auf die letzten beiden Varianten, die Führung innerhalb einer Gruppe aufteilen.

            Verteilte Führung (Distributed Leadership). Bei der verteilten Führung wird die Führungsverantwortung anhand von Kompetenzen und Aufgaben innerhalb einer Gruppe geteilt. Das bedeutet konkret: In interdisziplinären Teams verantwortet der/die Grafiker*in die Designfragen, der/die Entwickler*in die Technologiefragen und der/die Produktmanager*in die Businessfragen.

            Gemeinschaftlich verteilte Führung (Shared/Collective Leadership). Hierbei wird Führung in einer Gruppe ohne eine Trennung nach Kompetenz- und Aufgabenbereichen ausgeübt. Die Mitglieder der Gruppe sind aufeinander eingestellt und arbeiten gemeinsam an einem übergeordneten Ziel. Diese Art, Führung zu verteilen, ist anspruchsvoll und es müssen einige Faktoren berücksichtigt werden, damit sie erfolgreich gelingt:

            • Es muss ein gemeinsamer Wille vorhanden sein, das Problem zu lösen.

            • Die Aufmerksamkeit muss darauf liegen, welche Kompetenzen, Ideen und Erfahrungen jeder Einzelne in den Gruppenprozess einbringen kann.

            • Kommunikation ist das A&O: Das gemeinsame Handeln sowie die Art der Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung müssen kontinuierlich reflektiert werden.

            • Entscheidungen dürfen nicht aufgrund von individueller Amtsgewalt oder persönlicher Kompetenz getroffen werden, sondern müssen auf Vorschlägen basieren, die in der Gruppe breite Zustimmung

            An dieser Stelle ist wichtig zu erwähnen, dass verteilte Führung ergänzend bzw. situationsabhängig praktiziert werden kann. Es gibt bestimmte Aufgaben und Projekte, die das Wechseln zwischen verteilter und nicht verteilter Führung sogar ausdrücklich erfordern. Verteilte Führung bedeutet nicht unbedingt, dass die Führungskraft alle Zuständigkeiten gänzlich an seine Mitarbeitenden abgibt. Den Einfluss auf endgültige Entscheidungen kann die Führungskraft weiter für sich beanspruchen – das hängt ganz davon ab, welche (Misch-) Form der verteilten Führung ein Unternehmen wählt.

            In der Literatur wird verteilte Führung als zukunftsweisende Alternative zur One-Man bzw. One-Woman-Show bezeichnet (Endres & Weibler, 2019).
            Es stellt sich natürlich die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein sollten, damit dieser Führungsstil erfolgreich gelebt werden kann?

            Voraussetzungen für erfolgreiche verteilte Führung

            Verteilte Führung gelingt vor allem, wenn diejenigen, die bisher keine Führungsposition ausgeübt haben, bereit sind, größere Verantwortung zu übernehmen und sich stärker an Entscheidungsfindungen zu beteiligen. Andererseits müssen Personen, die bisher die (alleinige) Verantwortung getragen haben, die Veränderung als Chance – und nicht als Degradierung – begreifen. Das ist aus unserer Erfahrung vermutlich die größte Herausforderung im gesamten Prozess. Außerdem sollte der Fokus auf folgenden Aspekten liegen, wenn Sie für Ihre Organisation über dieses Führungsmodell nachdenken:

            • Führungsrollen und Führungsstil

              Möchten Sie von einem klassischen Führungsmodell zu einer verteilten Führung wechseln, müssen neue Positionen und Rollenverhältnisse genau definiert sein. Die führenden Positionen müssen sich für einen einheitlichen Führungsstil entscheiden und klären, wie genau ihre Tätigkeit im Team aussehen soll.

            • Arbeitsabläufe

              Durch die Veränderung hin zu geteilter Führung erhöht sich die Anzahl an Führungslinien. Ansprechpartner*innen, Kommunikationswege und Projektprozesse sind dadurch in einem größeren Netzwerk. Damit wird es notwendig, alte Strukturen und Arbeitsprozesse gemeinschaftlich zu optimieren und neu zu definieren.

            • Aufgabenverteilung

              Alle Mitarbeitenden müssen wissen, wer in welchem Projekt welche Verantwortung trägt. Die Beteiligten müssen ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten kennen. Eine klare Verteilung von Kompetenzen und Pflichten ist entscheidend für den Erfolg des Modells.

            Vorteile verteilter Führung

            1. Effektive Ressourcennutzung

              Durch die Verteilung von Führungsaufgaben auf verschiedene Teammitglieder können die individuellen Fähigkeiten und Ressourcen optimal genutzt werden, um die Gesamtleistung zu steigern.

            2. Bessere Komplexitätsbewältigung

              Komplexe Aufgaben und Projekte können effektiver bewältigt werden, wenn Verantwortlichkeiten auf mehrere Schultern verteilt werden. Die Perspektivenvielfalt und die damit verbundenen Sichtweisen sind größer und werden damit Komplexität besser gerecht.

            3. Schnellere Entscheidungsfindung

              Durch die Beteiligung mehrerer Personen an Führungsprozessen können Entscheidungen oft schneller getroffen werden, da nicht alle Informationen oder Entscheidungen zentralisiert werden müssen. Allerdings braucht es dazu geeignete Entscheidungsprinzipien und -werkzeuge, die nicht nur bekannt, sondern auch bei allen Beteiligten eingeübt sind.

            4. Innovationsförderung

              Ein verteiltes Führungsmodell fördert den Ideenaustausch und die kollaborative Problemlösung. Dies trägt zur Entstehung innovativer Ansätze und Lösungen bei.

            5. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit

              In einer sich ständig verändernden Arbeitswelt ermöglicht verteilte Führung eine flexiblere Anpassung an neue Anforderungen und Herausforderungen, da die Verantwortlichkeiten auf verschiedene Personen verteilt sind.

            6. Entwicklung von Führungskompetenzen

              Teammitglieder haben die Möglichkeit, Führungskompetenzen zu entwickeln und zu stärken, da sie aktiv in Entscheidungsprozesse und Führungsaufgaben einbezogen werden.

            7. Steigerung der Mitarbeitermotivation

              Durch das in die Teammitglieder gesetzte Vertrauen steigt normalerweise deren Zufriedenheit und Motivation.

            8. Förderung von Vielfalt und Inklusion

              Durch die Beteiligung verschiedener Teammitglieder an Führungsaufgaben können unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen besser berücksichtigt werden. Mehr Gleichheit und Verständnis füreinander können die Folgen sein.

            9. Reduzierung von Einzelstress

              Die „Last“ der Führungsverantwortung wird auf mehrere Menschen verteilt, was den individuellen Stress für Führungskräfte reduzieren kann.

            10. Förderung moderner Arbeitsumgebungen

              Neue Arbeitszeitmodelle lassen sich einfacher umsetzen. Durch verteilte Führungsmodelle werden auch die Bedürfnisse der Generation Y und Z nach Mitgestaltung und Hierarchiereduktion erfüllt.

            Nachteile verteilter Führung

            1. Kommunikationsherausforderungen

              Verteilte Führung kann zu Kommunikationsproblemen führen, da die Kommunikationswege komplizierter werden.

            2. Mangelnde Kohäsion

              Eine zu starke Verteilung von Führungsaufgaben kann die Teamkohäsion negativ beeinflussen. Es kann schwieriger sein, ein gemeinsames Verständnis von Zielen und Strategien zu entwickeln, wenn die Teammitglieder unterschiedliche Vorstellungen von Führung haben.

            3. Widerstand gegen Veränderungen

              Ein Wechsel zur verteilten Führung kann Widerstand auslösen, insbesondere wenn die Organisation an eine hierarchische Struktur gewöhnt ist. Der Übergang zu einem verteilten Modell erfordert oft eine komplette kulturelle Veränderung im Unternehmen.

            4. Mangelnde Rechenschaftspflicht

              Wenn Verantwortlichkeiten auf zu viele Personen verteilt sind, wird es schwieriger, Verantwortliche für bestimmte Ergebnisse oder Entscheidungen zu identifizieren.

            5. Langsamere Entscheidungsfindung in bestimmten Fällen

              Verteilte Führung führt oft zu schnelleren Entscheidungen (siehe „Vorteile verteilter Führung“). Wenn die Verantwortlichkeiten auf zu viele Personen verteilt sind und/oder Rollen nicht klar definiert sind, kann dies Entscheidungsprozesse verlangsamen.

            6. Unsicherheit beim Rollenwechsel

              Die Übergabe von Verantwortung muss bei jedem Projekt neu definiert und klar kommuniziert werden. Die Tatsache, dass mit dem Projekt die Führungsrolle endet, kann zu Unsicherheit und somit zu Produktivitätsverlust führen – sowohl bei führenden Personen als auch bei allen anderen Mitarbeitenden.

            7. Nicht für alle Organisationen geeignet

              Verteilte Führungsmodelle sind nicht für alle Organisationen oder Branchen geeignet. Einige Strukturen erfordern klare Hierarchien und klare Autoritätslinien.

            Fazit: Können Sie mit verteilter Führung mehr erreichen?

            Wenn wir die Vor- und Nachteile rein „rechnerisch“ betrachten (siehe Tabelle 1), könnte man sagen: Die Vorteile überwiegen!

            Vor- und Nachteile verteilter FührungTabelle 1: Vor- und Nachteile verteilter Führung gegenübergestellt 

            Die Wirksamkeit verteilter Führung hängt jedoch stark vom Reifegrad des Unternehmens, den beteiligten Personen sowie den implementierten Kommunikations- und Koordinationsmechanismen ab. Zusammenfassend stellen wir fest: Insbesondere im Kontext komplexer Aufgaben und Projekte erweist sich das Modell der verteilten Führung als vorteilhaft, da die Fachexpertise der Beteiligten optimal zur Problemlösung beitragen kann.

            In Zukunft wird das Konzept der verteilten Führung weiter an Bedeutung gewinnen, da Führungskräfte aufgrund der Notwendigkeit schneller Entscheidungen zur Sicherung der Innovationsfähigkeit verstärkt auf die Fachkenntnisse ihrer Mitarbeitenden angewiesen sind. Vor allem dadurch können Organisationen im Wettbewerb bestehen.

            Wenn Sie darüber nachdenken, verteilte Führung auszuprobieren, denken Sie daran: Vor allem Kommunikation und Haltung sind wichtig! Die Verteilung der Führungsaufgaben sowie die jeweiligen Kompetenzen und Pflichten müssen klar definiert und allen Teammitgliedern bekannt sein. Außerdem schließt verteilte Führung viele andere Führungsstile mit ein – oder zumindest nicht aus – und kann somit ergänzend eingesetzt werden.

             

            Setzen Sie bereits auf die Vorteile der verteilten Führung in Ihrer Organisation? Bei REFLECT stehen wir Ihnen zur Seite, um einen genauen Blick auf Ihre Situation zu werfen, möglichen Handlungsbedarf an den richtigen Stellen zu erkennen und differenzierte Schlussfolgerungen zu ziehen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse erarbeiten wir praktikable und umsetzbare Lösungsansätze. Wir unterstützen Sie auf diesem Weg! 

             

            Quellen

            Endres, S. & Weibler, J. (2019). Plural Leadership: Eine zukunftsweisende Alternative zur One-Man-Show. Springer.

            https://www.kursfinder.de/ratgeber/shared-leadership-geteilte-fuehrung-20186

            https://www.personio.de/hr-lexikon/shared-leadership/

            https://www.personalwissen.de/fuehrung/fuehrungsstil/shared-leadership-fuehrungalternative/

             

            Bildquellen:

            Hilitanu, Vlad, https://unsplash.com/de/fotos/menschen-mit-miniaturfiguren-1FI2QAYPa-Y, August 2019

             


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