Agilitätskiller im Projektmanagement – Die „Top Five“ und wie Sie diesen in Ihrem Unternehmen auf die Spur kommen.

            Agilitätskiller im Projektmanagement – Die „Top Five“ und wie Sie diesen in Ihrem Unternehmen auf die Spur kommen.

            Was ist dran an der Besorgnis, „klassisches“ Projektmanagement (PJM) verliere mehr und mehr seine Funktion als Lösungsmodell für komplexe, zeitkritische und oft chaotische Problemstellungen? 

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            Ist klassisches Projektmanagement tatsächlich etwas für die Klamottenkiste, wie es Apologeten eines anderen, mithin „agilen“ Projektmanagements suggerieren? Bevor Sie zweifeln, ob in Ihrem Unternehmen noch mit dem „richtigen“ Projektmanagement-Ansatz gearbeitet wird, testen Sie folgende Thesen:

             

            • Nicht Ihr „klassisches“ Projektmanagement als solches ist träge. Es ist die Handhabung der Methodik des Projektmanagements, die für Trägheit im Projektablauf und zur Verzögerung von Projektergebnissen führt. Nicht nur die handelnden Projektmanager*innen sind verantwortlich für schwerfällig anmutende Projektbearbeitung.
            • Es sind auch Entscheidungsträger*innen in der Linie, Auftraggeber*innen und Kunden, die mangels Kenntnis der Funktionsbedingungen des Projektmanagements Ihren motivierten und kompetenten Projektmanagern das Handwerk erschweren. 

              Wenn Sie die Entscheidungsprozesse Ihrer Organisation unter die Lupe nehmen, werden Sie auf mindestens fünf Blockaden stoßen, welche Agilität zunichte machen.

             

            Nummer 1, die Verständnisblockade – Projektmanagement „stört“ die Linienroutinen

            Die Vorstellung, Projektmanagement sei zu unbeweglich und schwerfällig, ist geradezu widersinnig. Warum? Ein zentrales Anliegen der Methodik ist es, komplexe Aufgaben zügig zu erledigen. Ein konstitutives Element dabei ist, das Spannungsverhältnis zu den beiden anderen Anliegen, „qualitativ anspruchsvolle“ und gleichfalls „kostengünstige Aufgabenerledigung“, optimal auszubalancieren. 

            Um die richtige Balance zu finden und zu halten, ist ein weiteres Wesensmerkmal des Projektmanagements, Entscheidungsprozesse über die Schnittstellen von trägen Linienstrukturen hinweg zu beschleunigen. Anders ausgedrückt: Ohne die Ansprüche „zügig“ und „beschleunigen“ macht Projektmanagement erst gar keinen Sinn. 

            Was in vielen Organisationen übersehen wird: Die Führungskräfte verstehen das Wesen von Projektmanagement nicht immer. Für sie mag Projektmanagement als Wundermittel für „nicht-triviale“ Aufgaben herhalten. Solche Aufgaben werden an das Projektmanagement delegiert; aber auf die Idee, dass auch sie als Führungskräfte selbst etwas tun müssen, um die erhofften Ergebnisse einzufahren, kommen sie im Zweifel nicht.

            Wie entstehen solche Blockaden?

            Es ist der Kern des Vorgehensmodells, dass die Beteiligten sich zur Lösung hochkomplexer Aufgaben frühzeitig, kontinuierlich und aus crossfunktionalem Blickwinkel heraus mit Lösungsschritten beschäftigen. Das führt dazu, dass sich Entscheidungsprozesse nicht mehr im langwierigen Top-Down Auf-und-ab verlieren, sondern durch quer über die Linienstrukturen hinweg gehende Entscheidungen beschleunigt werden. 

            Mit der Idee des schnittstellen-übergreifenden Lösungsansatzes erhält Projektmanagement also sein dynamisches Potential. Aber: Führungskräfte, die dieses zentrale Prinzip nicht kennen, oder kennen, aber nicht wirklich verstehen, empfinden Projektmanagement einfach nur nervig. Es „stört“ die gewohnten Abläufe in der eigenen Linie. 

            Andere, wie z.B. die Projektleitung, reden bei Ressourcenentscheidungen mit. Manche Linienchefs fühlen sich sogar in ihrer Führungsrolle bedroht; ein Phänomen, das durch Metaphern wie der Bedrohung von „Königreichen“ oder „Fürstentümern“ bekannt ist. 

            Es soll sogar Entscheider*innen geben, die Projektmanagement zwar einführen, aber dessen Sinn und Funktionsweise im Grunde nicht wirklich akzeptieren. Symptome dafür erkennen Sie beim Blick in den grauen Managementalltag: z.B., wenn linienübergreifende Entscheidungsgremien viel zu selten tagen oder wenn die linienübergreifende Entscheidungsinstanz (z.B. die Geschäftsführung/ Bereichsleitung) „mal wieder keine Zeit“ für das Meeting des Steering Committees hat. 

            Wenn Sie jetzt an die Wendung „Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass“ denken, dann liegen Sie genau richtig. Und Sie haben eine erste Erklärung, warum Projektmanagement nicht richtig läuft.

             

            Blockade 2 – Mangelhafte Handhabung der Methodik

            Projektmanagement ist per se agil. Dennoch mag ein konsequentes Vorgehen in strikt vorgegebenen Phasenschritten suggerieren, dass der Methodik eine vorprogrammierte Trägheit immanent sein muss. Denn: Erst wenn alle Arbeiten der Phase X (z.B. die Projektinitialisierung) abgeschlossen sind, können Projektteams mit den Folgearbeiten der Phase Y (z.B. der Projektplanung) loslegen. Das kann bekanntlich dauern … 

            Die Zuschreibung „unagil“ greift für phasenorientiertes Vorgehen dennoch zu kurz, weil sie den Trade-Off – zwischen Schnelligkeit auf der einen und Qualitätsanspruch und Kosteneffizienz auf der anderen Seite – ausblendet. 

            Projektmanagement hilft, dieses Spannungsverhältnis zwischen konkurrierenden Zielen offenzulegen und liefert u.a. mit dem Phasenmodell ein Werkzeug, den Trade-Off optimal auszubalancieren.

            Wichtig: Projektmanagement ist NICHT die Ursache, dass die Ziele konkurrieren, Projektmanagement deckt das Spannungsverhältnis lediglich auf und sorgt für Transparenz.

            Ein Projektmanagement, das in sorgfältiger Abwägung widerstrebender Ziele zum Ergebnis kommt, Qualitätsansprüchen und/ oder Kosteneffizienz den Vorrang vor Schnelligkeit zu geben, ist also nicht unagil sondern sorgt für Effizienz. Anders gewendet: Wer Agilität mit höherer Geschwindigkeit verwechselt, läuft Gefahr, den Preis in Form explodierender Kosten oder Qualitätseinbußen zu bezahlen. 

            Unagil im eigentlichen Wortsinn wird das Vorgehen allerdings dann, wenn die Abstimmung des Trade-Offs im Zusammenspiel zwischen Projektleitung, -team und -auftraggeber nicht klappt, zu lange dauert oder nicht gut orchestriert wird. Hier gilt es, genau hinzuschauen und zu beurteilen, wie die Beteiligten die PJM-Methoden tatsächlich einsetzen. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie dann eine Situation vorfinden, die eine angelsächsische Redewendung so charakterisiert: „A fool with a tool is still a fool“.

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            Blockade 3 – Die dynamischen Tools: Vergessen oder nicht bekannt

            Die dem Projektmanagement immanente Phasenorientierung sorgt auch für eine Besorgnis, die bei oberflächlichem Hinsehen in der Tat nicht von der Hand zu weisen ist: Phasengebundenes Vorgehen folgt bekanntlich der Logik, dass in jeder Phase zuerst alle Aufgaben zu erledigen sind, die für die Effizienz der Arbeiten in der folgenden Phase unverzichtbar sind. 

            Wenn sich parallel zur Projektbearbeitung die Rahmenbedingungen für das Projekt ändern, etwa auf Grund von Marktveränderungen, veränderten Wünschen des externen oder internen Kunden etc., dauern die Anpassungsprozesse in einem Phasenmodus möglicherweise zu lange. Bis das Projektteam sein sequenziell angelegtes Vorgehen angepasst und notwendige Änderungen in einen neuen Phasenzyklus eingepflegt hat, ist „der Markt bereits verlaufen“. 

            Diese Vorstellung von Projektmanagement übersieht, dass Projektleitung und -team eine Fülle von Anpassungsmechanismen zur Verfügung stehen, die sie in die Lage versetzen, Änderungsbedarfe schnell zu erkennen und umzusetzen. Die Mechanismen müssen eben nur genutzt werden. Als Beispiel seien das Risikomanagement für vorhersehbare und das Crash Management für unvorhergesehene Änderungsbedarfe genannt. 

            Wenn es der Projektbearbeitung in Ihrer Organisation an Dynamik zu fehlen scheint, schauen Sie sich genau an, welche Methoden und Anpassungsmechanismen das von Ihnen implementierte PJM-System bereitstellt. Dann schauen sich auch an, wie konsequent diese Mechanismen genutzt werden. Und fragen Sie ebenfalls nach, warum die Methoden nicht genutzt werden.

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            Die Blockade 4 – Dilettantische Ressourcenentscheidungen: Aufwand unterschätzt, Mittel nicht bereitgestellt

            Die Ressourcen reichen nie. Dieses Phänomen kann gut und gerne als Naturgesetz für alle unternehmerischen Aktivitäten, also auch für das Projektmanagement angesehen werden. Fehlende Ressourcen führen zu Zeitverlusten, zur Verlangsamung von Arbeitsprozessen oder zur verzögerten Lieferung von Arbeitsergebnissen. 

            Die einfache Lösung liegt scheinbar auf der Hand: Mehr Ressourcen zur Verfügung stellen oder auf ein dem Namen nach agiles Projektmanagement-Modell umstellen.

             Aber nicht das bloße FEHLEN von Ressourcen ist das Problem. Das Problem liegt tiefer: Da es bei Projekten immer um neuartige Aufgaben geht, neigen Projektmanagement und Stakeholder dazu, den benötigten Aufwand zu unterschätzen. Bei Projekten von Großunternehmen und bei der Öffentlichen Hand kommt hinzu, dass der geschätzte Aufwand aus politischen Gründen zunächst klein gerechnet wird. 

            Die Folge: Fehlt die realistische Einschätzung des Ressourcenbedarfs, kommen die Ressourcen entweder zu spät oder in zu geringem Umfang. Retardierende Effekte auf Projekte werden verstärkt, mithin potenziert, wenn der Entscheidungsmechanismus für die Ressourcenbereitstellung zwischen Linienorganisation und Projektorganisation ungeklärt bleibt. 

            Wer die Ursache für die ressourcenbedingte Verlangsamung im Projektmanagement sucht, liegt also knapp daneben. Suchen Sie die Ursache dort, wo sie wirklich entsteht: Ressourcenentscheidungen werden auf Basis blauäugiger Einschätzung und/ oder in Unkenntnis der tatsächlichen Ressourcenauslastung im Unternehmen und/ oder politischer Erwägungen getroffen. Diese Faktoren führen zu ständigen Verzögerungen, nicht jedoch das Projektmanagement per se.

             

            Blockade 5 – Unzureichende Rollenklarheit: WER ist eigentlich WOFÜR zuständig?

            Für Klarheit der Rollen sorgen. Das hört sich abstrakt an – die Folgen sind jedoch ganz praktisch erlebbar: Fehlende Rollenklärung, wie sie im Projektmanagement (zu) häufig festzustellen ist, führt zu empfindlichen Leistungseinbußen.
            Wie ist das zu erklären? 

            Das Phänomen der unzureichenden oder gar fehlenden Rollenklarheit kennen Sie, wenn Sie Ihre Linienstrukturen betrachten. Allerdings können dort Defizite im Rollenverständnis durch unterschiedliche Mechanismen kompensiert werden. Die negativen Folgen halten sich meist in Grenzen. Beispiel: Wer sich als Teamleiter über seine Befugnisse und Verantwortung nicht völlig im Klaren ist, fragt einfach bei seinem/ seiner Führungskraft nach oder macht es im Zweifel so, „wie die anderen“. 

            Defizite in der Organisation, deren Folgen in der Linienarbeit halbwegs neutralisiert werden können, wachsen sich im Projektmanagement zum veritablen Showstopper aus. Denn im PJM ist von der Idee her alles neuartig. Für den Fall, dass die Projektbeteiligten bei Betreten von Neuland ihre Rollenunsicherheit mit eigenen Vorstellungen füllen, erwarten sie – je nach Firmenkultur – unterschiedlichste Formen der Sanktionierung. Dies kann von der Ermutigung reichen, neue Wege einfach auszuprobieren bis hin zur roten Karte: „dafür bist Du nicht zuständig“. 

            Wer als Projektleiter*in Unsicherheit über seine Befugnisse verspürt, wird bestimmte Entscheidungen nicht treffen. Wer im Projektteam mitarbeitet und über seine Aufgaben nur diffuse Vorgaben bekommt, wird einige Aufgaben im Zweifelsfall liegen lassen. In jedem Fall wirken sich Versäumnisse bei der Definition der Rollen gerade im PJM besonders gravierend aus – sowohl auf die Schnelligkeit der Aufgabenerledigung wie auch auf die Flexibilität bei auftretenden Änderungsbedarfen.

             

            agilität


            Fazit

            Wenn Sie den Eindruck haben, Ihr „klassisches“ Projektmanagement sei zu träge, schmeißen Sie es nicht gleich über Bord!

            Projektmanagement ist von der Idee her agil. Denn es ist darauf angelegt, die Trägheit starrer Entscheidungsstrukturen zu überwinden (wie z.B. in der Projektmatrixorganisation) oder die Strukturen als solche grundlegend zu ändern (wie in der „reinen“ Projektorganisation). Projektmanagement ist in allen Phasen darauf ausgerichtet, Änderungsbedarfe schnell zu erkennen, zu prüfen und umzusetzen. 

            Ihr Projektmanagement ist allerdings nur dann agil, wenn es richtig verstanden, richtig gemacht und richtig in den Organisationkontext eingebettet wird. Dort liegt „der Hund begraben“, und hier sollten Sie als Entscheider*in genauer hinsehen, bevor Sie agilen Heilsversprechen hinterher hecheln. 

            Wie Sie dem Projektmanagement Ihrer Organisation die Agilität zurückgeben, lesen Sie im Blogbeitrag am 15. Mai.

             

             

            Quellen:

            Angermeier, Georg: Traditionelles Projektmanagement. <https://www.pro-jektmagazin.de/glossarterm/traditionelles-projektmanagement>.

            Komus, Ayelt; Heupel, Thomas:  GPM, Erfolgsfaktoren im Projektmanagement - eine evidenzbasierte Studie Hochschule Koblenz, 2015.

            Müller, Christian: Unterschied zwischen klassischen und agilen Projekten <https://proagile.de/unterschied-klassisch-agil/>

            1. M. Institute: What is Project Management? <https://www.pmi.org/about/learn-about-pmi/what-is-project-management>

            Preussig, Jörg: Agiles Projektmanagement, (Haufe) 2. Auflage 2020

             

            Bildquelle

            Casey Thiebeau auf Unsplash

             

            Schmeißen Sie nicht gleich alles über Bord! Um die Trägheit starrer Entscheidungsstrukturen zu überwinden, Änderungsbedarf schnell zu erkennen, zu prüfen und umzusetzen, helfen wir Ihnen bei REFLECT! Damit Sie Ihren Entscheidungsträger*innen, Auftraggeber*innen sowie Kunden im Unternehmen weiter auf die Spur kommen und die Funktionsbedingungen des Projektmanagements gemeinsam und kompetent verbessern können!


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