Claus Fleischer ist seit Juli 2012 Geschäftsleiter von Bosch eBike Systems. Der Maschinenbau-Ingenieur blickt auf mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Bosch-Gruppe zurück, davon 15 Jahre im Bereich Automotive im In- und Ausland. Von Anfang 2007 bis Ende 2009 war er als Entwicklungsleiter für Bremssysteme in Farmington Hills, Michigan (USA), tätig. 2011 und 2012 fungierte er als Assistent des damaligen Vorsitzenden der Geschäftsführung der Bosch-Gruppe, Franz Fehrenbach, zuständig für technische Themen im Bereich Unternehmensplanung. Unter seiner Führung hat sich Bosch eBike Systems vom Start-up zu einem der führenden Hersteller für eBike-Antriebssysteme im Premium-Segment entwickelt. Fleischer ist enthusiastischer Mountainbiker, Rennradfahrer und hat ein besonderes Faible für den Bergsport.
REFLECT: Wie erleben Sie bei Bosch eBike Systems die Coronapandemie im Allgemeinen und den Lock-down light im Besonderen?
Claus Fleischer: Für uns gab es im Wesentlichen drei Dinge: Die Mitarbeitersicht, die wirtschaftliche Situation in der Branche und die persönliche Erfahrung jedes Einzelnen.
Wir haben eine hohe Bereitschaft bei den Mitarbeitern erlebt, sich auf die neuen Arbeitsbedingungen einzulassen. Also mehr mobiles Arbeiten, Homeoffice und die verstärkte Nutzung digitaler Systeme wie Skype oder Teams. Da sind alle wirklich schnell mitgegangen. Wir haben regelmäßig in Newslettern, E-Mails und kleinen Videos über den aktuellen Stand der Pandemie und der Wirkung auf uns berichtet. So waren die Mitarbeiter auch zu Hause im Homeoffice informiert. Wir haben viel mehr Videos gedreht und über Livestreams kommuniziert als früher. Das hat nochmal einen mächtigen Schub nach vorne gegeben. Die digitalen Formate kommen richtig gut an.
Mobiles Arbeiten haben wir proaktiv gefördert und gefordert, und natürlich auch die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt, gerade in der ersten Lockdownphase. Da haben viele Mitarbeiter gefragt, ob sie einen Bildschirm oder Tastatur mitnehmen können. Wir haben darauf geachtet, dass jeder zu Hause auch arbeitsfähig und entsprechend mit Equipment ausgestattet ist. Da muss man als Unternehmen einfach flexibel reagieren. Das haben wir gut bewältigt.
Wirtschaftlich ist die Fahrradbranche eher ein Gewinner in der Krise gewesen. Wir haben sehr schnell reagiert und mit der Öffnung nach dem ersten Lockdown gab es in der Fahrradbranche einen sehr hohen Bedarf. Auf einmal waren eBikes in den Fahrradgeschäften ausverkauft. Wir sind im Bereich gesunder Mobilität und setzen auf die gesellschaftlichen Trends. Da war für uns das Wichtigste die gesamte Fahrradindustrie - mit unseren Lieferanten, Produktion und Logistik - am Laufen zu halten. Wir hatten die besondere Situation, dass alle Werke laufen mussten und gleichzeitig alle Mitarbeiter im Homeoffice waren. Auch das haben wir gut gemeistert.
Die persönliche Erkenntnis des letzten halben Jahres war für mich: Alle Herausforderungen lassen sich meistern mit Optimismus und einem positiven Menschenbild. Die Mischung aus mobilem Arbeiten und Präsenz im Büro bekommt man so gut hin. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Wir haben aus diesen Erkenntnissen auch einiges mitgenommen für die zukünftige Arbeitswelt in unserem neuen Gebäude, das wir im ersten Quartal nächsten Jahres beziehen werden. Besonders Themen um das hybride Arbeiten haben uns dabei beschäftigt, d.h. wie viele Mitarbeiter sind im Homeoffice und arbeiten mobil, wie viele sind auf der Bürofläche, wie gestalten wir virtuelle Meetings und digitale Events.
REFLECT: Gerade in Krisenzeiten spricht man davon, dass Unternehmen eine resiliente Kultur brauchen, die sie widerstandsfähig und robust macht gegenüber den dynamischen und volatilen Marktbedingungen. Was macht für Sie Kultur aus und welche Bedeutung messen Sie ihr bei?
Claus Fleischer: Kultur ist per Definition das unbewusste tägliche Leben von Werten. Werte, auf die man sich bewusst oder unbewusst geeinigt hat, das heißt die so über die Zeit entstanden sind oder weil man sie niedergeschrieben hat. Wichtig ist, dass man seine Werte, wenn man sie niedergeschrieben hat, auch mit dem Arbeitsalltag verknüpft. Dann entsteht eine gelebte Kultur, die auch im Unterbewusstsein wirkt und Richtung fürs Handeln gibt. Diese Einigung auf einen gemeinsamen Wertekanon schafft Vertrauen und Zusammenhalt in der Organisation.
Wir waren ein kleines Start-up und sind dann sehr schnell gewachsen, haben viele neue Mitarbeiter in kurzer Zeit dazu gewonnen. Wir haben uns in diese Zeit zurückversetzt und uns gefragt, was hat die Start-up-Phase ausgemacht. Diese Kultur des Start-ups können wir schwer kultivieren, wenn wir groß werden, aber wir haben es versucht. Wir sind mittlerweile ein mittelständisches Unternehmen, möchten uns aber immer noch verhalten dürfen wie ein Start-up.
REFLECT: Sie haben vor circa 2 Jahren begonnen, ein Leitbild für eBike gemeinsam im Führungsteam und der Belegschaft zu entwickeln. Wir durften Sie dabei unterstützen. Wie wirksam haben Sie diese Entwicklung für die Zusammenarbeit und Kultur bisher erlebt?
Claus Fleischer: Das Leitbild ist wichtig, weil wir als Unternehmen eine Strategie haben. Die Strategie schafft den Handlungsrahmen für die Zukunft. Diesen Handlungsrahmen wollten wir auch mit Leben füllen. Das Leben und der Sinn in der Strategie ist jetzt für uns das Leitbild mit Purpose, Mission, Vision und Werten.
Das startet natürlich erstmal mit dem Purpose, dieser Sinnfrage: warum komme ich jeden Morgen ins Büro und leiste meinen Beitrag? Wir haben uns einen stark emotionalen Purpose ausgewählt: We make cyclists smile. Dieser emotionale Purpose – durch unsere ebike Systeme Fahrradfahrer zum Lächeln zu bringen –ist ein Anspruch, den wir an uns selbst haben. Dieses Lächeln der Fahrradfahrer ist der Grund, warum alle jeden Morgen ins Büro kommen. Wir haben uns deshalb auch bewusst für einen emotionalen und keinen rationalen Purpose entschieden.
Der Purpose liegt also über allem und darunter kommt dann unsere Vision: Wir gestalten die Zukunft des Radfahrens. Aktiv diese Zukunft des Radfahrens mit unseren Produkten und Lösungen zu gestalten, wird dann im Leitbild mit der Mission durchdekliniert. Darunter liegen unsere Werte. Wir haben das Leitbild mit Mitarbeitern und Führungskräften entwickelt und Partizipationselemente eingebaut, haben es ausgerollt, machen Mitarbeiterbefragungen, Skip-level Meetings und holen Feedback ein.
Es kommt gut an, denn es ist authentisch. Die Mitarbeiter fühlen sich abgeholt und sagen, ja, das passt zu uns. Wir haben da mit Reflect was ganz Ordentliches hingekriegt und ich persönlich nutze das Leitbild in fast jedem Vortrag. Ich nutze den Purpose und die Vision, wir gehen auf die Werte ein. Es ist nichts künstlich Übergestülptes, sondern wir haben niedergeschrieben, was uns die letzten 10 Jahre ausgemacht hat und was wir für die Zukunft kultivieren wollen.
REFLECT: Bei der Entwicklung war auch immer Ihr Führungskreis mit eingebunden. Wie wichtig war aus Ihrer Sicht diese Einbindung im Hinblick auf die Wirksamkeit des Gesamtprozesses?
Claus Fleischer: Die Einbindung des Topmanagements ist sehr wichtig. Wir sind stark gewachsen, haben die Organisation neu aufgesetzt und haben von 4 auf 8 Kollegen im obersten Führungskreis erweitert. Die Kollegen kamen günstigerweise genau zu dem Zeitpunkt, als wir Leitbild, Purpose, Vision und Werte definiert haben. Sie haben also aus dieser Diskussion direkt mitbekommen, was uns die letzten 10 Jahre ausgemacht hat – sie kannten die Historie ja selbst nicht. Sie konnten somit schnell verstehen und mitgestalten, und konnten die Kultur mitausrollen und leben.
Die Führungskräfte sind die wichtigsten Multiplikatoren für Leitbild und Kultur, für die Mitarbeiter. Ich bin sehr froh, dass alle unsere Führungskräfte sich aktiv damit identifizieren und wir auch Wertepaten definiert haben. So ist fast automatisch entstanden: „Ich stehe für den Wert im Unternehmen, dazu habe ich eine Geschichte“. Das macht es für die Mitarbeiter wieder sehr authentisch und ehrlich, und das ist ausschlaggebend für den Erfolg. Wir haben das natürlich gefördert, wir haben z.B. Hintergründe und kleine digitale Sticker für Powerpoints gemacht. Überall im Unternehmen tauchen jetzt die Werte an verschiedenster Stelle auf. Die Teams verwenden jetzt auch völlig eigenständig Elemente des Leitbilds. Beispielsweise findet man jetzt den Purpose und den Wert „Setting the benchmark“ in einer Präsentation für ein neues Produkt, denn damit wollen wir den Radfahrer zum Lächeln bringen. Wir merken jetzt, die Werte werden spielerisch eingesetzt, auch von Kollegen und Teams.
Vom Bewussten über das Einüben kommt man ins Unterbewusste. Wir stehen vor dem Einzug in unser neues Gebäude und planen da natürlich, wie wir das Leitbild und die Werte visualisieren. Spielerisch wollen wir sie platzieren, beispielsweise als Graffiti im Treppenhaus und nicht nur irgendwo ein Plakat aufhängen.
REFLECT: Wenn Sie drei Attribute zur Auswahl haben – was macht für Sie persönlich wirklich Leadership aus und weshalb?
Claus Fleischer: Für mich sind die wichtigsten Attribute von Leadership Strategie, Vertrauen und Motivation.
Warum Strategie: Weil die Strategie mit der Vision zusammen einen Rahmen vorgibt. Dann steuern alle auf das gleiche Ziel zu. Wenn ich das als Führungskraft nicht mit einer begeisternden Vision vorgebe, „da wollen wir hin“, dann läuft die Organisation wild umher. Es ist wichtig, dass man das betont und kommuniziert.
Das Vertrauen: Das Vertrauen basiert natürlich auf Offenheit und wenn man im Wachstum ist, agil und in selbstorganisierte Teams arbeitet, dann ist eine Vertrauenskultur ganz wichtig. Gerade wenn Sie sich schnell entwickeln, schnell entscheiden und nicht immer wissen, welche Entscheidung jetzt gerade die Richtige ist. Da braucht man die Offenheit, dass auch über schwierige Dinge gesprochen wird, die kritischen Themen und die Fehler. Da muss man sehr viel an sich arbeiten aber auch mit den Führungskräften und Teams, dass es wirklich zu dieser Offenheit kommt.
Der dritte Punkt ist Motivation: Motivation ist für mich die positive Verstärkung für Leistung, Kreativität, Innovation und so dem persönlichen Arbeitseinsatz. Es ist natürlich einfacher, wenn es eine intrinsische Motivation ist und die kommt meistens aus dem Purpose. Wenn ich intrinsisch motiviert bin, weil ich den Purpose verinnerlicht habe, fällt es mir leichter, als wenn ich extrinsisch motiviert werden muss über Incentives oder einen Bonus.
Das sind meine drei Führungsschwerpunkte, auf die ich besonders achte.
REFLECT: Eine persönliche Frage zum Schluss: Ich kann mir vorstellen, dass dieses Jahr auch für Sie persönlich eine Herausforderung war, eBike erfolgreich durch die Krise zu bringen. Was ist Ihr persönlicher Leitsatz oder Prinzip, das Ihnen dabei geholfen hat, hier dennoch den Kopf oben zu behalten?
Claus Fleischer: In diesem Jahr passen drei meiner Lieblingsleitsätze ganz gut:
„Keep your promise“ – das heißt, Verlässlichkeit in den Zusagen gegenüber unseren Kunden und Partnern.
„One problem at a time“ – also besonnen, mit Priorität, aber ohne Hektik die Herausforderungen angehen.
„Nur nie den Sinn für Humor verlieren“ – den Leitsatz habe ich von meiner Oma, der hilft immer, wenn es mal ganz arg wird.
REFLECT: Herzlichen Dank für die Einblicke in Ihr Unternehmen Bosch eBike Systems und weiterhin viel Erfolg auf Ihrem Weg to make cyclists smile.
Das Gespräch führte Jutta Merkel.
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