Die 4-Tage-Woche – Ein Praxisbericht

            Die 4-Tage-Woche – Ein Praxisbericht

            In unserer Online Session "Über Sinn und Unsinn der 4-Tage-Woche" am 12.07.2023 haben wir über die Vor- und Nachteile sowie über wesentliche Kriterien zur Einführung der 4-Tage-Woche gesprochen. Gewinnen Sie nun mit uns einen tieferen Einblick in die Praxis zweier Unternehmen, die zum einen das Arbeitsmodell schon eingeführt haben oder dessen Einführung planen.

            Foto von Lukas Blazek auf Unsplash

            Praxisbericht GOEKELER Messtechnik GmbH

            Die GOEKELER Messtechnik GmbH ist ein Familienunternehmen in zweiter Generation, welches weltweit Messmaschinenhersteller und ihre Endanwender mit Tastelementen beliefert. Unser erster Gast Timo Gökeler ist dort Geschäftsführer und Gesellschafter. Stationiert ist die Firma im baden-württembergischen Landkreis Esslingen. Durch die Nähe zu Stuttgart steht das Unternehmen mit 20 Mitarbeitenden daher in direkter Konkurrenz zu global agierenden Mitstreitern wie Daimler oder Porsche. Trotzdem haben sich die ersten Überlegungen zur Einführung einer 4-Tage-Woche nicht in erster Linie durch den harten Kampf um gute Talente ergeben – sondern durch überraschende Erkenntnisse die Gökeler gemacht hat, während sein Unternehmen 2019 in Kurzarbeit gehen musste.

            Der Startschuss

            Den Startschuss für die ersten Überlegungen zur 4-Tage-Woche hat die Wirtschaftskrise 2019 gesetzt. Damals ging das Unternehmen in die Kurzarbeit. Und siehe da: Trotz Kurzarbeit sind damals die Umsätze gestiegen! Das war für Timo Gökeler der Anlass, das Ganze näher zu beleuchten und ein Experiment zu starten.

            Das Experiment

            Von diesem Zeitpunkt an hat das Unternehmen verschiedene Möglichkeiten zur Reduzierung der Arbeitszeit getestet.

            Testphase 1: Im ersten Test wurde an fünf Tagen in der Woche jeweils 6 Stunden gearbeitet. Hier war schnell klar, dass diese Arbeitszeit für die zu erledigenden Aufgaben nicht ausreicht.

            Testphase 2: Es wurde an vier Tagen in der Woche 8,5 Stunden gearbeitet. Der freie Tag konnte selbst gewählt werden. Timo Gökeler berichtet: „Einer bleibt dienstags, einer mittwochs, einer donnerstags zuhause. Darunter leiden die Projekte und Themen. Dann hat man zwei Fehltage von Mitarbeitenden, die zusammenarbeiten bzw. kommunizieren müssen. Der Kunde kriegt seine benötigte Info also erst an Tag drei.“ Durch die fehlende Arbeitszeitüberschneidung zogen sich Projekte in die Länge. Auch dieses Modell war somit keine sinnvolle Option.

            Testphase 3: An vier Tagen in der Woche wurde 8,5 Stunden gearbeitet. Allerdings wurde nun festgelegt, dass der freie Tag für alle der Freitag ist. Eine 40-Stunden-Woche war zu dieser Zeit ohnehin nicht mehr aktuell. Die IG Metall hatte schon lange eine 37,5-Stunden-Woche und viele Betriebe 35 Stunden mit fünf Arbeitstagen á 7 Stunden. Freitags hatte man daher viele Schnittstellen und Kunden nicht mehr erreicht, woraus sich der Freitag als logische Konsequenz für den freien Tag ergab. Dieses Arbeitsmodell mit 100 % Lohnfortzahlung ist bei der GOEKELER Messtechnik GmbH nach wie vor das Modell der Wahl und hat sich als voller Erfolg herausgestellt.

            Die Ergebnisse können sich sehen lassen:

            • Die Anwesenheit wurde um 17 % reduziert.
            • Der Umsatz wurde um 9 % gesteigert.
            • Der Energieverbrauch wurde um 10 % verringert.

            Die Firma ist froh, diesen Weg gegangen zu sein, es war aber keinesfalls ein Zuckerschlecken. „Weniger Anwesenheit bedeutet die gleiche Arbeit in weniger Anwesenheit. Das braucht Disziplin und modernes Denken. Und zwar durchgängig. […] Probleme muss man offen ansprechen.“, sagt Timo Gökeler im Gespräch mit Reflect.

            Timo Gökeler rät auch: „Man muss Prozesse effizienter machen“. So hat GOEKELER beispielsweise ca. 15.000 Euro in eine bessere Montagevorrichtung investiert und spart dadurch 275 Arbeitsstunden pro Jahr. Um den Kundenservice zu gewährleisten ist außerdem freitags immer eine Person im Büro erreichbar und hat dafür an einem anderen Tag frei. „Das ist unser Modell, es gibt aber keine Universallösung.“, macht Gökeler klar.

            Praxisbericht Weiß & Sohn – Glaserei und Fensterbau GmbH

            Als zweiten Gast begrüßten wir Gunther Nagel, Geschäftsführer der Weiß & Sohn – Glaserei und Fensterbau GmbH. Das Familienunternehmen fertigt seit 1934 Fensterelemente aus Kunststoff oder Aluminium in höchster Qualität mit Verglasungen auf dem neuesten Stand.

            „Wir beschäftigen uns mit dem Thema hauptsächlich wegen der Mitarbeitergewinnung“, so Nagel. „Für Montagearbeiten ist es sehr schwer, Mitarbeitende zu bekommen, da die Montage aufgrund immer größerer Teile und Dreifachverglasung immer härter wird. Man muss richtig schwer arbeiten, um die Teile an Ort und Stelle zu bekommen.“, berichtet Gunther Nagel.

            Das Unternehmen will die 4-Tage-Woche zunächst nur für die Montage einführen. Der Entschluss steht fest, allerdings gibt es noch Bedenken hinsichtlich der Sicherstellung eines optimalen Kundenservices. „Wir müssen auch Notfälle bearbeiten, wenn sich zum Beispiel Fenster oder Türen nicht mehr öffnen lassen. Wenn wir nicht erreichbar sind, können wir das nicht sicherstellen.“, sagt Nagel. Aktuell gilt daher für die Einführung der 4-Tage-Woche ein Modell als Favorit, bei dem eine Hälfte von Montag bis Donnerstag, die andere Hälfte von Dienstag bis Freitag arbeitet.

            Welche Arten der 4-Tage-Woche (mit 100 % Lohnfortzahlung) gibt es?

            Apropos verschiedene Modelle: Im Folgenden geben wir Ihnen einen Überblick über die konkreten Möglichkeiten zur Ausgestaltung einer 4-Tage-Woche bei 100 % Lohnfortzahlung.

            Arbeitsstopp am 5. Tag: Das Unternehmen schließt für einen zusätzlichen Tag in der Woche.

            Staffelung: Das Personal nimmt abwechselnd einen Tag frei. Mitarbeitende werden zum Beispiel in zwei Teams aufgeteilt: Ein Team nimmt am Montag frei, das andere Team am Freitag. Besonders sinnvoll ist es, wenn Mitarbeitende mit ähnlichen Fähigkeiten und ähnlichem Wissen ein „Paar“ bilden – und jeweils abwechselnd einen Tag frei nehmen.

            Dezentralisierung: Die Regelungen zur 4-Tage-Woche werden hier abteilungsübergreifend geregelt. Die unterschiedlichen Abteilungen kürzen auf individuelle Art und Weise einen Tag und stellen dabei die Zusammenarbeit und Koordination mit anderen Abteilungen sicher. Hier ist es möglich, dass einige Angestellte eine 4-Tage-Woche haben, während andere jeden Tag kürzer arbeiten.

            Jährlich: Das Personal arbeitet durchschnittlich 32 Stunden pro Woche – auf das ganze Jahr hochgerechnet. Beispiel: Ein Restaurant, dessen Geschäft von saisonalen Schwankungen geprägt ist, hat sich für dieses Modell entschieden. Das bedeutet in der Umsetzung längere Öffnungszeiten im Sommer und kürzere im Winter.

            Konditional: Hierbei ist der Anspruch der Mitarbeitenden auf eine 4-Tage-Woche an die Arbeitsleistung gebunden. Führungskräfte können die 4-Tage-Woche außer Kraft setzen, wenn das Personal vereinbarte Ziele nicht erreicht. Dies kann zu ungleichen Situationen führen: Einige Mitarbeitende arbeiten nur 4 Tage, während andere für eine bestimmte Zeit weiterhin 5 Tage arbeiten.

            In der Praxis entscheidet sich die Mehrheit der Unternehmen für den Arbeitsstopp am 5. Tag. 57 % verlängern dabei das Wochenende, sprich: Sie wählen den Montag oder Freitag als zusätzlichen freien Tag (Day Week Global, 2023).

             

            Modelle 4-Tage-Woche 2

            Abbildung 1: Arten der 4-Tage-Woche (bei 100% Lohnfortzahlung)

            7 Schritte zur Einführung einer 4-Tage-Woche

            1. Analyse der Arbeitsschritte: Analysieren Sie möglichst alle Arbeitsschritte und versehen Sie diese mit einer Zeitangabe – bestenfalls können Sie die Zeit messen. Ansonsten nehmen Sie eine möglichst genaue Schätzung vor. Eliminieren Sie Zeitfresser und entwickeln Sie neue (Produktions-)Ziele.

            2. Festlegung des Modells: Entscheiden Sie sich auf Basis der Analyse für ein Modell. Befragen Sie unbedingt auch die Mitarbeitenden, welches Modell der 4-Tage-Woche sie bevorzugen.

            3. Zeitraum des Experiments festlegen: Wir empfehlen eine Dauer von ungefähr 6 Monaten. Dieser Zeitraum hat sich auch in der Praxis bei GOEKELER als sinnvoll erwiesen.

            4. Aufgabenlisten: Fertigen Sie Aufgabenlisten an. Das erleichtert die Übergabe an Kolleg*innen und fokussiertes Weiterarbeiten am nächsten Tag.

            5. Gemeinsamer Kalender für Mitarbeitende: Reorganisieren Sie die Kalender, um die Arbeit an einzelnen Aufgaben zu fördern und den ständigen Wechsel zwischen Aufgaben zu vermeiden.

            6. Neue Standards für Besprechungen: Auch wenn es ein „alter Hut“ ist und man – eigentlich – weiß wie es geht: Fokussieren Sie sich vor jedem Meeting auf dessen Sinn und Zweck. Weiß jeder was besprochen werden soll? Wie klar wird mit Verantwortlichkeiten umgegangen? Machen Sie kürzere Meetings, reduzieren Sie deren Anzahl und definieren Sie klarere (Themen-)Pläne und Ziele.

            7. Kommunikationsprinzipien implementieren: Erneuern Sie Ihre E-Mail-Etikette. Empfehlen Sie Ihren Mitarbeitenden mehr darauf zu achten, was der Zweck der Nachricht ist und wer diese empfangen soll. Investieren Sie außerdem in die Automatisierung bestimmter Arbeitsabläufe: Nutzen Sie diese für E-Mail-Templates, automatisierte Nachrichten oder Protokolle.

            Berücksichtigen Sie auch folgende Punkte:

            • Stellen Sie Grundregeln für alle Eventualitäten auf: Was passiert zum Beispiel bei einem Arbeitsnotfall, wenn ein Mitarbeitender einen Tag frei hat?
            • Prüfen Sie die Arbeitsprozesse und konzipieren Sie neue Produktivitätsinitiativen, indem Mitarbeitende befragt und Workshops angeboten werden.
            • Führen Sie für einen schnellen Überblick und eine effiziente Organisation eine Software ein, die zeigt, wann welcher Mitarbeitende arbeitet.
            • Befragen Sie ggf. Ihre Kunden, wie die 4-Tage-Woche ankommt.
            • Führen Sie eine Fokus-Periode ein: Eine festgelegte Zeitspanne für unabhängige, störungsfreie Arbeit.

            Fazit: 4-Tage-Woche – Sinn oder Unsinn?

            Wir beleuchten diese Frage aus der Perspektive der Gesunden Organisation (siehe Abbildung 4).

            Sinn und Unsinn der 4-Tage-Woche-1

            Abbildung 2: Sinn und Unsinn der 4-Tage-Woche aus Sicht der GO (Gesunden Organisation)

            Zum Schluss möchten wir Ihnen noch einige Praxistipps von Timo Gökeler ans Herz legen:

            • Entscheiden Sie niemals, ohne das Team Die Veränderung sollte außerdem nicht mit Einschränkungen verbunden sein (wie zum Beispiel weniger Gehalt).
            • Multiplikatoren im Unternehmen, die mit in die Kommunikation gehen, sind Gold wert.
            • Ziehen Sie es zu 100 % durch und geben Sie nicht beim ersten Gegenwind der Mitarbeitenden oder Kunden wieder auf. Seien Sie hartnäckig und ziehen Sie an einem Strang – nur so kann es funktionieren.


            Wie stehen Sie zur Idee einer 4-Tage-Woche? Überlegen Sie, diese in Ihrem Unternehmen einzuführen oder halten Sie es für nicht umsetzbar? Bei REFLECT sind wir gerne an Ihrer Seite, um einen genauen Blick auf Ihre Situation zu werfen, möglichen Handlungsbedarf an den richtigen Stellen zu erkennen und differenzierte Schlussfolgerungen zu ziehen. Basierend auf diesen Erkenntnissen erarbeiten wir praktikable und umsetzbare Lösungsansätze. Wir begleiten Sie auf diesem Weg!

             

            Quellen

            Day Week Global, The results are in: The UK‘s four-day week pilot, Februar 2023, Autonomy (Autorenteam & Research Team), Hampshire, S. 20-21

            Foto von Lukas Blazek auf Unsplash



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            Wir von Reflect haben es uns zum Ziel gesetzt, gesunde Organisationen entstehen zu lassen – einen Ort, an dem Menschen ihre Potenziale entfalten könnten. Auf dem Weg zu einer New Work Organisation unterstützen wir Sie mit Leistungen aus der Führungskräfteentwicklung, der strategischen Personalentwicklung, dem Change Management und Coaching.

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