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Warum klassische Change-Management-Modelle versagen

Geschrieben von Ingo Kallenbach | 15.2.2021

Klassische Change-Modelle - Einfache Antworten auf schwierige Fragen

Change, Transformation, Transition – welchen Titel Sie der Veränderung Ihrer Organisation auch geben möchten, so ganz eindeutig kann das Konzept der Veränderung nicht gefasst werden. Change ist unglaublich komplex und beeinflusst Unternehmen in all ihren Dimensionen: Strategie, Strukturen, Kultur, Prozesse, Beziehungen, Menschen, Raum und Führung. Da kann man schon mal den Überblick und die Steuerung verlieren.

 

 

Also liegt es nahe, sich ein Modell zu suchen, das Orientierung in Change-Prozessen bietet. Und tatsächlich, eine schnelle Google-Recherche zeigt: Es gibt Change-Management-Modelle, die Veränderungsprozesse entmystifizieren und Struktur und Halt bieten. Die ersten Treffer sind meist Kotters 8-Stufen-Modell, Lewins 3-Phasen-Modell, Krügers 5-Phasen-Modell oder die Change-Kurve.

„Wunderbar“, denken Sie sich und legen los, Ihren Change nach einem oder mehreren dieser Modelle zu managen. Denn eins haben sie alle gemeinsam: Sie sind schnell verständlich, einfach aufgebaut und in nachvollziehbaren Schritten gegliedert.

Auffällig beim Aufbau und der Benamung der meisten Change-Modelle ist der Fokus auf eine chronologische Abfolge von Schritten, Maßnahmen oder Organisationszuständen. Schauen wir uns die Modelle einmal genauer an.

 

3-Phasen-Modell nach Lewin – Change-Management aus der Tiefkühltheke

Kurt Lewins 3-Phasen-Modell hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel – wird aber immer mal wieder gerne in ursprünglicher oder leicht abgewandelter Form auch in Vorstandssitzungen genutzt, um die anstehende Transformation ganz einfach zusammenzufassen: 1. Auftauen 2. Bewegen 3. Einfrieren. Ganz einfach. Und ganz logisch.

Nur leider: Viel zu kurz gegriffen und eindimensional gedacht. Gut möglich, dass zu Lewins Lebzeiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Veränderungen so gesteuert werden konnten. Aber eine Organisation des 21. Jahrhunderts „auftauen“ und wieder „einfrieren“? Undenkbar. Und auch unmöglich. Klar, auch heute gibt es mal mehr Change und dann weniger – aber ein mechanistisches und selbstzentriertes Verständnis von Organisationen, wie es Lewins Modell verbreitet, wird Ihnen nicht helfen, Ihren Change zu managen.

Kotters 8-Stufen-Modell – Praxisorientiert, aber linear

Schauen wir uns also John Kotters sehr weit verbreitetes 8-Phasen-Modell an. Im Prinzip geht er von einem ähnlichen Change-Verständnis wie Lewin aus. Nur teilt er sein Modell granularer auf und geht praxisorientierter vor, indem er je Stufe erklärt, was getan werden muss, um den Change zu gestalten.

Das ist schon mal hilfreicher als Lewins Ansatz. Aber: Auch Kotter betrachtet Change als einen schrittweisen Prozess, ein Rezept, dem Führungskräfte einfach folgen können. Was bei Rückschritten passiert, bleibt unklar.

Und aus der Praxis können wir berichten: Die ersten 6 Stufen sind vergleichsweise einfach zu meistern (siehe Grafik). Stufe 7 und 8 hingegen können Monate und Jahre in Anspruch nehmen.

Das Modell stellt die schwierigsten, langwierigsten und kompliziertesten Herausforderungen, nämlich das Erreichen und Verankern tiefgreifender Veränderungen, einfach als zwei letzte Stufen dar.

Spätestens ab Stufe 6 können Sie Kotters Modell also zur Seite legen. Dennoch: Kotters Modell prägt auch modernes Change Mangement noch stark. Der Einsatz einer Vision, der Aufbau eines Change-Führungsteams und das Formulieren eines „sense of urgency“ sind drei klassische Change-Rezepte, die auch heute noch angewandt werden, mal mehr, mal weniger erfolgreich.

 

Krügers 5-Phasen-Modell – Fortschritt durch Rückschritt

Weiter zu Krügers 5-Phasen-Modell, das eigentlich ein typisches Managementvorgehen beschreibt. Uns erinnert es an Klassiker wie den PDCA-Zyklus, nur ohne den Zyklus, oder an das typische Beratervorgehen „Diagnose, Design, Delivery“ – Krüger ergänzt noch Verstetigung.

In Krügers Modell spiegelt sich ein ähnliches Change-Verständnis wie bei Lewin und Kotter wider. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, weist Krüger allerdings auf die Möglichkeit von Rückschritten hin, auch wenn das im Modell selbst nicht zu erahnen ist.

Change wird für ihn wie ein normales Projekt in verschiedenen Phasen gesteuert. Phase erledigen, abhaken, nächste Phase. Hilfreich ist das Modell sicherlich für Change-Neulinge, die sich eine grundlegende Orientierung über klassische Change-Prozesse (falls es solche heute noch gibt) verschaffen wollen. Für fortgeschrittene Reflect-Notizen-Lesende wie Sie bietet das Modell vermutlich kaum neue Erkenntnisse.

Die Change-Kurve – Theoretisch gut

Zum Abschluss ein Blick auf die Change-Kurve. Anders als die vorherigen Modelle legt sie den Fokus nicht auf das Management des Change-Prozesses, sondern zeichnet den Verlauf der Emotionen in einer Veränderung. Von Schock über Verneinung hin zu Einsicht, Akzeptanz und zum Ausprobieren neuer Verhaltensweisen, und schließlich zur Erkenntnis und Integration neuen Verhaltens.

Die Change-Kurve bietet also einen Einblick in das Gefühlsleben und Verhalten der vom Change betroffenen bzw. am Change beteiligten Menschen. Das ist gewissermaßen hilfreich, unterstützt es Change Manager doch darin, Reaktionen von Mitarbeiter*innen zu antizipieren und mit den richtigen Methoden aufzufangen oder zu mitigieren (auch wenn das Modell zum richtigen Umgang mit den emotionalen Zuständen keine Anhaltspunkte bietet).

Wie jedes Modell ist auch die Change-Kurve jedoch natürlich eine Vereinfachung der tatsächlichen Change-Praxis. In Transformationen zeigt sich immer wieder, dass Menschen völlig unterschiedlich auf Veränderungen reagieren, dass sie ganz unterschiedlich schnell die Phasen durchlaufen, dass manche Phasen übersprungen werden und/oder dass manche Menschen auch nie in eine Phase der Einsicht kommen.

In der Praxis erleben wir häufig, dass Manager annehmen, die gesamte Organisation bewege sich gleichmäßig durch die Kurve. Und wir erleben, dass Führungskräfte ihren eigenen Fortschritt in der Kurve überschätzen. Sie wähnen sich in der Integrationsphase, haben aber tatsächlich erst die Einsicht erlangt, dass der Change sie selbst betrifft und ahnen nicht, dass sie kurz vor dem berühmt-berüchtigten „Tal der Tränen“ stehen.

 

Der große Change-Management Modellabgleich – Alle Modelle auf einen Blick

Unser großer Change-Management Modellabgleich legt die oben aufgeführten Modelle übereinander und zeigt auf: Egal ob 3, 5, 7 oder 8 Phasen – alle Change-Modelle beschreiben einen Zeitabschnitt der Stabilität und Vorbereitung, eine Periode des Wandels und einen Zeitraum der Verankerung und Stabilisierung.

 

 

Wie passen lineare Modelle in eine volatile Welt und in ein komplexes Change-Umfeld?

Die schnelle Antwort: Eigentlich gar nicht. Als Change-Praktiker können wir bestätigen, dass wir noch keinen ernsthaften Veränderungsprozess begleitet oder beobachtet haben, der nach einem einfachen, linearen Schema ablief. Und auch deshalb greifen wir in unserer Arbeit nur dann zu einem der Modelle, wenn wir gefragt werden, wie Change denn in einer perfekten, pardon, eindimensionalen Welt funktionieren würde.

Aber: Unternehmen und ihre Kulturen sind nicht eindimensional und Veränderung bewirkt Schmetterlingseffekte, die nicht in ein lineares Modell zu pressen sind. Und die auch nicht komplett „manageable“ sind. Und die räumlich und zeitlich Kreise ziehen, die weiter und tiefer sind, als der strukturierteste Change Manager zu planen und zu kontrollieren vermag.

Also: Schauen Sie sich die Modelle in Ruhe an, schreiben Sie sich Ihre 3 wichtigsten Erkenntnisse in Ihr Notizbuch und dann legen Sie die Modelle, die Phasen, die Kurven zur Seite und konzentrieren Sie sich darauf, Ihr Unternehmen Veränderung erlernen zu lassen. In einer VUCA-Welt und in digitalisierten und globalisierten Organisationen ist Veränderungskompetenz wichtiger als Veränderungsplanung. Und Patentrezepte und „Blueprints“ haben ihre besten Zeiten hinter sich.

 

Fazit

Die am weitesten verbreiteten Change-Management-Modelle sind in dieser Notiz nicht sonderlich gut weggekommen. Als Veränderungsbegleiter erkennen wir in ihnen kaum praktischen Nutzen. Am ehesten hilft uns noch Kotters Modell, an ein paar Zutaten für einen gut gesteuerten Change-Prozess zu denken.

Wir glauben: Die betrachteten Change-Modelle sind reine, stark abstrahierte Theorie und können Change-Neulingen zu Beginn ihrer Ausbildung Orientierung verschaffen und Sicherheit vermitteln.

Jedoch ist diese Sicherheit trügerisch. Die scheinbar einfachen Schritte und Phasen entpuppen sich in der Praxis als ein schwierig zu entwirrendes Geflecht. Deshalb plädieren wir dafür, die klassischen Change-Management Modelle in einer Change-Einführung zu nutzen, um aufzuzeigen, wie einfach es vielleicht früher mal war oder wie einfach es sein könnte, wenn man als Management alle Variablen kontrollieren KÖNNTE.

Wir werden daher versuchen, in unseren Notizen und weiteren Veröffentlichungen sowie natürlich unseren Beratungs- und Begleitungsleistungen ein ehrlicheres Bild von Change und ein praxisnahes, modernes Konzept von Change Management zu zeigen.

 

                                                                                                       


 

 

 

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Quellen:

Kurt Lewin (1947) Frontiers in group dynamics. Concept, method and reality in social science. Social equilibria and social change. In: Human Relations. Bd. 1, Nr. 1

John P. Kotter (1995) Leading Change: Why Transformation Efforts Fail. In: Harvard Business Review. Band 2, Reprint 95204, S. 59–67.

Wilfried Krüger (2014) Excellence in Change. Gabler Verlag, Wiesbaden