Viele Angestellte arbeiten aktuell im Homeoffice. Vor der Corona-Pandemie gab es zahlreiche Unternehmen, die das Arbeiten von zu Hause aus kritisch gesehen haben. Einer der Kritikpunkte war dabei – wenngleich selten wirklich offen geäußert – die fehlenden Kontrollmöglichkeiten.
Auf der anderen Seite fühlen sich viele Mitarbeiter*innen alleingelassen und überfordert im Homeoffice. Diese Diskrepanz zwischen Kontrolle und Befähigung im Wandel der Industrie 3.0 hin zur New Work Organisation werden wir in diesem Artikel beleuchten.
In vielen Unternehmen sind klare Kontrollsysteme etabliert und das ist auch gut so. Denken Sie an die aktuellen Genehmigungsprozesse der Pharmakonzerne für einen Impfstoff für Covid19. Hier sind wir froh über detaillierte Prozesse, klare Regulierungen und ausgearbeitete Genehmigungsstufen, denn es geht um die Gesundheit und Sicherheit der Menschen. Die Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an einem Impfstoff und doch dauert die Entwicklung an.
Auch in der Flughafenabfertigung gibt es seit 9/11 erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. Die Konsequenz aus diesen verschärften Sicherheitskontrollen erlebte man damals anschaulich an den langen Warteschlangen.
Das zeigt gleichzeitig die wesentlichen Nachteile eines verstärkten Kontrollsystems – die Verlangsamung des Gesamtprozesses. Nimmt man die Erfassung der Arbeitszeit als Beispiel. Der Mitarbeitende muss die Arbeitszeit erfassen, das bindet Arbeitszeit und Ressourcen. Anschließend werden die Einträge kontrolliert, was zusätzliche Ressourcen bindet.
Kontrolle kann aber auch ein Instrument zur Qualitätssicherung sein. Wird beispielsweise ein Artikel vor seiner Veröffentlichung nochmals redigiert, werden Fehler reduziert und der Text optimiert.
Neben zeitlichen Verzögerungen und erhöhten Ressourcen spielen auch psychologische Aspekte eine Rolle. Menschen streben nach Autonomie und Professionalität, machen also ihre Tätigkeiten gerne autonom, ohne dass ihnen ständig jemand über die Schulter schaut.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das Hormon Oxytocin zu erhöhtem Vertrauen führen kann. Dies konnten erstmals Michael Kosfeld (2005) und seine Kollegen von der Uni Zürich nachweisen. Oxytocin gilt als eine Art Glückshormon, das gleichzeitig Stress reduzieren und wohl auch – nach neueren Studien französischer Forscher (Angela Sirigu) – die sozialen Fähigkeiten von Menschen positiv beeinflussen kann.
Also, an alle Mikromanager dieser Erde: Sorgt für erhöhte Oxytocinwerte, das erleichtert das Loslassen...
Da Unternehmen immer schneller auf die Ansprüche ihrer Kund*innen reagieren müssen, ist Befähigung ihrer Mitarbeiter*innen eine Möglichkeit für Unternehmen, den Anforderungen der VUCA Welt besser begegnen zu können. Die in vielen Unternehmen noch ausgeprägten Hierarchien verhindern jedoch häufig, adäquat und vor allem zeitnah, auf den Sog des Marktes reagieren zu können.
Zudem ist wissenschaftlich belegt, dass die Produktivität von Mitarbeitern sich gezielt steigern lässt, wenn sie stärker miteinbezogen werden.
Oft wird diese Art der Befähigung (Empowerment) einfach durch die Übertragung von Verantwortung vorgenommen. Verantwortung übernehmen zu dürfen ist aber nur eine Seite der Medaille – die Mitarbeiter*innen müssen es auch wollen, können und das notwendige Wissen haben, der übertragenen Verantwortung überhaupt gerecht werden zu können.
Mitarbeiter*innen erhalten größere Handlungs- und Entscheidungsspielräume. Die Übertragung von Verantwortung sollte allerdings schrittweise erfolgen. Bei dieser sukzessiven Umsetzung können die folgenden Fragen unterstützen: Wie können meine Mitarbeiter*innen mehr Verantwortung übernehmen? Wie sieht diese Verantwortung aus? Welche Entscheidungen sollen sie zukünftig treffen? Bei welchen Entscheidungen sollen sie informiert, konsultiert oder ein Vetorecht erhalten?
Verantwortung zu übertragen ist eigentlich keine große Sache und kann recht schnell geschehen. Aber: wollen die Mitarbeiter*innen überhaupt mehr Verantwortung übernehmen?
Dafür braucht es einen geeigneten Rahmen, innerhalb dessen gemeinsam ausgelotet werden kann, wie Motive und Erwartungen auf Seiten der Mitarbeiter*innen ausgeprägt sind. Man sollte nicht per se davon ausgehen, dass es reicht, einfach Verantwortung übertragen zu können. Eine wechselseitige Verständigung darüber, welche Erwartungen mit der Verantwortungsübernahme verbunden sind, gehört verständlicherweise besprochen und vereinbart.
Dabei können neben dem Purpose des Unternehmens auch gelebte Unternehmenswerte eine Rolle spielen. Diese schaffen im besten Falle eine Art Soll-Kultur (mindset) und können allen Mitarbeitenden des Unternehmens verdeutlichen, welches Verhalten erwünscht ist.
Die erwünschte Soll-Kultur stellt einen wichtigen Referenzrahmen dar und schafft damit eine wichtige Grundorientierung, an der sich alle Mitarbeitenden ausrichten können. Dennoch ist jede Person individuell in ihrer Persönlichkeit, ihrer Rolle und im jeweiligen Kontext zu betrachten und Lösungen sind entsprechend situativ und individuell angemessen zu treffen.
Das Wollen kann zudem von weiteren Faktoren abhängen, die im Folgenden aufgegriffen werden.
Um neue Aufgaben zu übernehmen, stellt sich natürlich die Frage: Welche Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sind bei den Kollegen*innen schon vorhanden, welche müssen noch aufgebaut werden. In welchem Ausmaß verfügen sie über das passende Skillset, um der übertragenen Verantwortung auch gerecht werden zu können? Welche Qualifizierungsmaßnahmen braucht es? Wie passen diese auch zur persönlichen Weiterentwicklung des jeweiligen Mitarbeitenden?
Ganz im Sinne der individuellen Potenzialentfaltung bieten sich hier herausragende Möglichkeiten, Mitarbeitende sehr spezifisch und gemäß ihren Potenzialen zu qualifizieren. Konzepte, die auf Eigenverantwortung setzen, wie bspw. Job Crafting oder Self-directed Learning, bieten wunderbare Möglichkeiten, Verantwortung schrittweise und angemessen zu übertragen.
Ein letzter Faktor bestimmt die Verantwortungsübernahme: hier geht es schlicht um das notwendige Wissen, eine Aufgabe lösen zu können. Mit Wissen kann das notwendige Fachwissen gemeint sein, aber auch das Wissen um wichtige Steuerelemente des Unternehmens, wie beispielsweise Unternehmensziele, Unternehmensstrategie, Umsatzzahlen, Marktanteile usw.
Nur wer gut informiert ist, kann auch kluge und sinnvolle Entscheidungen treffen. Wenn also Entscheidungen an die Stellen getragen werden sollen, an denen die tatsächliche Kompetenz liegt, dann brauchen Entscheidungsträger*innen auch den Überblick über die wesentlichen Kennzahlen.
Allein die Transparenz von Kennzahlen reicht allerdings auch nicht aus. Vielmehr ist eine sinnvolle Bündelung von Informationen notwendig, die es den Kollegen*innen erlaubt, schnell an die für sie relevanten Informationen zu kommen. Das ist die eigentliche Kunst des Wissensmanagements. Die Fülle an Informationen einfach nur transparent zu machen, bringt nichts und kann sogar zu Nachteilen führen, weil Mitarbeitende im Zweifel den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.
Insofern kommt auch dem Wissenstransfer eine wesentliche Bedeutung zu, wenn es um die Übertragung von Verantwortung geht.
Kontrolle und Empowerment haben beide ihre Berechtigung in der Arbeitswelt. Auch in einer New Work Organisation wäre deshalb das Dogma völlig falsch, jegliche Kontrolle abzuschaffen.
Kontrolle immer da, wo sie wirklich notwendig ist, um Qualität und Sicherheit zu gewinnen. Einer maximalen Befähigung auf Mitarbeiter*innen Seite sollte sie jedoch nie entgegenstehen.
Deshalb würde ich in einer New Work Organisation ein Mindset proklamieren, das nach dem Motto handelt: soviel Befähigung wie möglich, so wenig Kontrolle wie nötig. Mit dieser Balance sollte es möglich sein, Mitarbeiter*innen einerseits zu vertrauen und zu befähigen, andererseits aber Kontrollmechanismen zu etablieren, die sinnvoll sind und verstanden werden, und die nicht dazu führen, aus Unverständnis oder bewusster Missachtung der Vorgaben, boykottiert zu werden.
In einer beschleunigten Welt braucht es schnelle, kluge Entscheidungen, die von Leuten am Ort des Geschehens getroffen werden. Durch die gewonnene Reaktionsfähigkeit werden Unternehmen robuster gegenüber Marktveränderungen.
Das Empowerment der Mitarbeitenden funktioniert dabei nicht von heute auf morgen. Es erfordert schrittweises Vorgehen und die Bereitschaft von Management und Führungskräften, sich auf neue Denk- und Arbeitsweisen einzulassen. Wie immer bei solchen Transformationen, auch wenn sie sukzessive erfolgen und nicht unternehmensweit übergestülpt werden, werden nicht alle Mitarbeitenden diesen Weg mitgehen wollen. Eine gewisse Fluktuation ist deshalb absehbar.
Wer jedoch loslassen kann und Mitarbeitern sowie ganzen Teams ausreichend Raum für selbstständiges Arbeiten und Entscheiden einräumt, kann nach 12-18 Monaten erste positive Ergebnisse sehen.
Im besten Falle können Mitarbeitende so zu Entrepreneuren im eigenen Unternehmen werden. Führungskräfte müssen sich dabei keine Sorgen machen: Führungsarbeit wird verteilt und sie selbst können sich auf die Tätigkeiten konzentrieren, die am besten ihren individuellen Motiven, Kompetenzen und Talenten entsprechen.
Kosfeld, M. Heinrichs, P. J. Zak, U. Fischbacher, E. Fehr: Oxytocin increases trust in humans.In: Nature.435, 2005.