Wie sieht die moderne Arbeitswelt aus? Wie viel Planung ist möglich, wenn sich die Arbeitswelt immer schneller dreht und rasche Reaktionen der Unternehmen erfordert? Wir beschäftigen uns in dieser Notiz mit dem tendenziellen Wandel von Planung hin zu Experimentieren.
Planung ist per definitionem der Prozess des Festlegens von Zielen und des Formulierens von Methoden, Strategien und Vorgehensweisen, um diese zu erreichen. Planung kann sich sowohl auf Langzeit- oder strategische Planung als auch auf kurzfristige oder operative Planung beziehen.
Die klassischen Prozesse, beispielsweise in der Automobilindustrie, zeigen auf, wie enorm wichtig detaillierte Planungen sein können. Weltweite Lieferketten, just-in-time delivery, automatisierte Produktionsprozesse in der Montagehalle, all dies erfordert eine detaillierte Planung. Man kann sagen, je standardisierter der Prozess, je mehr Automatisierung und Digitalisierung im Spiel ist und je stabiler das Marktumfeld, desto erfolgreicher ist eine detaillierte Planung.
Als Metapher nutzen wir gerne den Ruder-Achter. In ruhigem Fahrwasser und unter kontrollierbaren Bedingungen legt das Boot eine beachtliche Strecke in kurzer Zeit zurück. Prädestiniert für Höchstleistung unter standardisierten Bedingungen. Das Team ist perfekt eingespielt, solange sich die Bedingungen nicht allzu sehr ändern. Wind und Wellen können dagegen verheerend sein – der Achter kommt aus dem Takt und von der Bahn ab.
Durch neue Konkurrenz am Markt und ständig wachsenden Anforderungen auf Kundenseite werden Planungen immer komplexer. Um beim Beispiel der Automobilindustrie zu bleiben: es gibt quasi kein Standardauto mehr. Autos sind heute wie Maßanzüge konfigurierbar und bieten unzählige Varianten in Sachen Antriebsart, Ausstattung und Ambiente.
Diese Individualisierung innerhalb eines automatisierten Montageprozesses zu ermöglichen, impliziert erhöhte Komplexität und erfordert zusätzlichen Aufwand in der Planung. Darüber hinaus verunsichern Einflüsse von außen über die Zukunft der Mobilität die gesamte Branche.
Werden Märkte dynamischer, funktionieren konservative Geschäftsmodelle plötzlich nicht mehr. Unternehmen fehlt schlicht die Zeit, Dinge zu planen, denn durch die Schnelllebigkeit der Märkte entsteht nicht nur Handlungsdruck, sondern auch zahlreiche unterschiedliche Optionen.
Die deutschen Personalvorstände haben in ihrem Positionspapier bereits 2016 – und das ist mit vier Jahren eine gefühlte Ewigkeit her – festgestellt:
„Der Weg der Transformation führt vor allem über Experimente. Nur mit Experimenten lassen sich ‚Wenn-Dann-Ketten‘ überprüfen“.
Hinzu kommt: Experimente generieren harte Fakten, die größere Investitionen in neue Herangehensweisen legitimieren helfen.
Wie sinnvoll ein experimentelles, agiles Vorgehen sein kann, ist kontextabhängig. Experimentell und agil ist genauso wenig immer angebracht wie standardisierte Planung.
Ein einfaches Modell, das die unterschiedlichen Parameter übersichtlich darstellt, bietet das Cynefin-Framework.
Das vom Wissenschaftler Dave Snowden entwickelte Wissensmanagementsystem „Cynefin“ ist hilfreich, um Rahmenbedingungen einzuordnen und einen passenden Prozess zu identifizieren. Ob ein Prozess eher linear, lean oder agil sein sollte, ist von der Einfachheit, Kompliziertheit oder Komplexität der anstehenden Aufgabe und Herausforderung abhängig.
Vereinfacht gesagt: Je komplexer die Umgebungsbedingungen, desto eher können agile Vorgehensweisen zur Lösung bestehender Herausforderungen beitragen – je einfacher sich diese darstellen, desto eher kommen klassische Prozesse (Wasserfall, LEAN) zur Anwendung.
Abbildung: Prozessauswahl und Kontextbedingungen (i. A. a. Snowden, Cynefin-Modell)
Agile Prozesse gibt es zahlreiche und in unterschiedlicher Ausprägung. Am bekanntesten ist die Scrum-Methode, die wir schon an anderer Stelle beschrieben haben. Wir möchten uns hier auf zwei andere, inzwischen bewährte und erfolgreiche Vorgehensweisen fokussieren und diese jeweils anhand eines Best Practice Beispiels veranschaulichen.
Design Thinking ist eine kundenzentrierte und iterative Methode für die Lösung komplexer Probleme und zur Entwicklung neuer Ideen. Design Thinking ermöglicht die Entwicklung einer – unter Abwägung von Wirtschaftlichkeit, Machbarkeit und Erwünschtheit – aus Kundensicht überlegenen Lösung.
Dabei wird bereits früh auf die Erstellung von Prototypen gesetzt. Gewonnene Einsichten werden rekapituliert. Um möglichst unterschiedliche Sichtweisen für eine Problemstellung zu erhalten, werden für den Prozess diverse Personen mit verschiedensten Erfahrungen und Hintergründen einbezogen.
In den Anfangszeiten hatten die Gründer von AirBnB Probleme herauszufinden, warum bestimmte Anzeigen erfolgreich waren und andere nicht. Mit Design Thinking fanden sie schnell heraus, dass nicht erfolgreiche Anzeigen eines gemeinsam haben: Sie hatten schlechte Fotos.
Um dieses Problem zu lösen, wurde ein – inzwischen sehr erfolgreiches und berühmtes – Fotografenprogramm gestartet, um Vermieter mit einladenden Fotos zu unterstützen.
Diese Analyse und Lösung wird als “Trendwende” in der AirBnB Geschichte geschildert.
Ein Minimum Viable Product (MVP), wörtlich ein minimal überlebensfähiges Produkt, ist die erste minimal funktionsfähige Iteration eines Produkts, das entwickelt werden muss, um mit minimalem Aufwand den Kunden-, Markt- oder Funktionsbedarf zu decken und handlungsrelevantes Feedback zu gewährleisten.
Bekannt geworden ist dieses Konzept im Rahmen der Lean Startup Methode, die auf Eric Ries zurückgeht. Grundgedanke ist, dass eine gute Geschäftsidee nur erfolgreiche Produkte hervorbringen kann, wenn Kundenwünsche konsequent erfüllt werden und in das finale Produkt mit einfließen.
Ein Minimum Viable Product ist in dieser Hinsicht ein einfacher Prototyp, der durch Kundenfeedback weiterentwickelt werden muss. Das schnell und einfach erstellte Produkt wird nur mit den absolut notwendigen Kernfunktionen ausgestattet. Beispielsweise für ein internetbasiertes Produkt durch eine Landingpage, um Arbeit, Geld und Zeit zu sparen.
Das MVP wird veröffentlicht, um zeitnah Feedback von potenziellen Kunden einzuholen; dabei spielen frühzeitige Anwender („innovators“, „early adopters“), die sich am besten in die Produktabsicht hineinversetzen können, eine besondere Rolle. Das Feedback wird dazu genutzt, um das MVP Runde um Runde zu erweitern und zu verbessern.
Der weltweit bekannte Cloud-Speicher-Gigant Dropbox ist ein erfolgreiches Paradebeispiel für ein MVP. Zu Beginn bestand das heute umsatzstarke Unternehmen nur aus einem Erklärvideo, das den grundsätzlichen Nutzen der Produktidee auf originelle Weise vermittelte.
Das Video über Dropbox war letztlich so überzeugend, dass die Anmeldungen von anfänglichen 5.000 über Nacht auf 75.000 anstiegen. Und das, obwohl die eigentliche Softwarelösung noch nicht einmal existierte!
Das Pandemie-Jahr 2020 hat es sehr deutlich zum Ausdruck gebracht: Wir sitzen in einem Rafting-Boot in reißender Strömung. Das klingt dramatisch, ist es aber auch. Hätte es nicht gigantische staatliche Zuwendungen gegeben, hätten die Folgen der Pandemie schon heute deutlich mehr Organisationen mit sich gerissen. Das ist VUCA pur – jeden Tag neue Informationen, absolutes Steuern auf Sicht in großer Unsicherheit, was der kommende Tag bringen wird.
Planungen sind in solchen Zeiten nur noch in kurzen Abständen möglich. Was regelbar und routiniert immer gleich abläuft, kann beschrieben werden. Komplexe Herausforderungen brauchen aber Kreativität, flexibles Denken und schrittweises Vorgehen durch Experimentieren.
Durch frühes Testen am Kunden und eine Customer-Journey, beispielsweise mit Hilfe von Design-Thinking oder MVP, können Unternehmen schneller entscheiden und Innovationen wirksam voranbringen.
REFLECT bietet diverse Workshops zum Thema agile Methoden. Mit uns sind Sie sicher am Steuerrad, egal auf welchen Fahrwasser Sie sich gerade befinden. Kontaktieren Sie uns gerne, wir beraten Sie individuell.
atatech Implus (20.04.2016): Die digitale Transformation gestalten – Was Personalvorstände zur Zukunft der Arbeit sagen. Ein Stimmungsbild aus dem Human Resources-Kreis von atatech und Jacobs Foundation, abrufbar auf: Die digitale Transformation gestalten – Was Personalvorstände zur Zukunft der Arbeit sagen. Ein Stimmungsbild aus dem Human-Resources-Kreis von acatech und Jacobs Foundation - acatech
Eric Ries (2011). The Lean Startup. New York: Penguin Random House.
David J. Snowden & Mary E. Boone: A Leader’s Framework for Decision Making. In: Harvard Business Review. November 2007, S. 69–76 abrufbar auf A Leader’s Framework for Decision Making (hbr.org)