Sie haben Ihr regelmäßiges Treffen im Führungskreis Ihres mittelständischen Unternehmens. Einer Ihrer Kollegen stellt sein Marketingkonzept für das kommende Jahr vor. Sie haben den Eindruck, dass einige Punkte nicht bedacht wurden, sagen aber nichts. Eine Ihrer engagiertesten Mitarbeiterinnen kommt zu Ihnen mit einem Vorschlag, den Sie für falsch halten. Sie danken der Mitarbeiterin und bitten um weitere Analysen und verschieben so die Entscheidung.
Sie arbeiten seit nun mehr zwei Jahren als Assistenzarzt mit Ihrer Chefin in einer Kinderklinik zusammen. Bei den Visiten haben Sie öfter eine andere Meinung als sie. In der Vergangenheit haben Sie das hin und wieder angesprochen mit dem Ergebnis, dass Ihre Chefin recht abweisend reagierte. Inzwischen sind Sie dazu übergegangen, Ihre Meinung für sich zu behalten, da es ja ohnehin nichts verändert.
Sicherlich kennen wir alle solche Situationen. Aus unterschiedlichsten Gründen sagen wir unsere Meinung nicht. Wichtige Punkte oder Fehler werden damit nicht angesprochen. Nach Ansicht der
Harvard-Professorin Amy Edmondson resultieren daraus Stagnation und Misserfolg in Organisationen. Lernen aus Fehlern und die damit einhergehende Innovationskraft wird unterbunden. Als Hauptursache sieht die Forscherin fehlende
psychologische Sicherheit -
„psychological safety“, wie sie es nennt (Edmondson 2013). In Ihren Untersuchungen in Krankenhäusern hat sie folgendes festgestellt: Krankenhäuser mit guten Ergebnissen machen mehr Fehler als solche, die schlechter abschneiden. Was zunächst paradox klingt, hat eine einfache Erklärung: Die Krankenhäuser mit den schlechteren Ergebnissen machen vermutlich ähnlich viele Fehler, sie werden nur nicht bekannt, da niemand darüber spricht. Besteht jedoch ein guter Umgang mit Fehlern, kann daraus gelernt werden. Besonders wichtig aus unserer Sicht: In Zeiten wie diesen, die immer mehr „VUCA“ werden, braucht es eine Kultur, in der Fehler angesprochen werden dürfen. Die Management-Vordenkerin Edmondson unterscheidet zwischen drei Arten von Fehlern:
- Vermeidbare Fehler in einem planbaren Umfeld - Fehler, die bei Standardprozessen oder Routineaufgaben vermieden werden könnten. Diese müssen angesprochen und aufgedeckt werden. Dadurch können sie zukünftig durch Qualitätsmaßnahmen (zB Checklisten) vermieden werden.
- Unvermeidbare Fehler in einem komplexen Umfeld - Fehler, die geschehen, da das Umfeld „VUCA“ ist und Fehler damit nahezu unvermeidbar sind. Solche Fehler müssen analysiert werden. Anhand der Ergebnisse müssen dann Szenarien und Handlungsabläufe für alle möglichen Situationen durchdacht werden.
- Kluge Fehler an der Grenze des Wissens - Fehler, die „gewünscht“ geschehen, da sie in einem Umfeld gemacht werden (müssen), in dem es noch keine Erkenntnisse gibt. Oft durch Experimente beispielsweise. Hier können systematische Experimente hilfreich sein, bei denen bewusst Fehler gemacht werden dürfen. Stichwort: Lernen durch Misserfolg - Lernen durch Scheitern.
Einen zweiten Ansatz vertritt Edmondson darüber hinaus, der ebenfalls aus unserer Sicht die Lebenswirklichkeit schon heute - und mehr noch die von morgen - spiegelt bzw. spiegeln wird: Sie spricht bewusst von
„Teaming“ - einem Kunstwort, um zu verdeutlichen, dass die Zusammenarbeit immer mehr ein flexibler Prozess sein wird, der aus verschiedenen Personen und Experten besteht, die nur für eine bestimmte Zeit zusammen arbeiten werden. Das Team in der festen Zusammensetzung mit einer klaren Rollen- und Aufgabenverteilung hat mittelfristig ausgedient, da solche Strukturen der
flexiblen, agilen Arbeitswelt von heute nicht mehr gerecht werden können. Dafür braucht es auf Ebene der Teammitglieder andererseits
hohe soziale Kompetenzen: Diese müssen lernen, schnell und vertrauensvoll mit Anderen - auch in einem internationalen und virtuellen Kontext - zu interagieren sowie deren Stärken und Schwächen zu akzeptieren. Das Team brauch lernfähige und innovative Mitarbeiter. Die Zeit, die Kollegen über Jahre kennenzulernen, um irgendwann schließlich Vertrauen aufzubauen, scheint vorbei zu sein.
Für Sie als
Führungskraft bedeutet das, dass
Vertrauen,
Fehlertoleranz und
Stärkenorientierung noch wichtiger werden als sie es in der Vergangenheit ohnehin schon waren. Wichtige Effekte, wie
Kohärenz im sozialpsychologischen Sinne (jemand versteht sein Umfeld, kann das Leben handhaben, etwas bewirken und einen Sinn darin sehen), muss ebenso wie das
Kohäsionsgefühl („Wir-Gefühl“), dass erst nach einiger Zeit bei zusammen arbeitenden Teams entsteht, zukünftig schneller aufgebaut werden können. Um diesen Effekten und Herausforderungen aus der Umwelt möglichst gerecht zu werden, können wir uns gut Team-Modelle vorstellen, die aus kleinen
Kernteams von
2-3 Personen bestehen, die immer wieder zusammen arbeiten und im Rahmen von sog.
Teaming-Prozessen mit Experten und Expertinnen erweitert werden, die flexibel um diese Kernteams herum gebaut werden. Denken Sie nur an die
„nested teams“ von
Laloux. Das Kernteam muss dabei nicht notwendigerweise eine Führungsrolle einnehmen, sondern bildet vielmehr aufgrund ihres unterschiedlichen Potenzials ein eingespieltes Team, das dadurch den Prozess der Zusammenfindung im erweiterten Personenkreis erleichtert und beschleunigt.
Teaming stellt damit einen zukunftsweisenden Ansatz dar, der durchaus dazu beitragen kann,
agile,
innovative und
lernfähige Organisationen
zu schaffen.
Siehe analog dazu auch unser Seminarangebot zum Thema
Gesunde Team- und Projektarbeit: von klassischen bis zu agilen Methoden - ein Überblick.