Neue Arbeitswelten (Teil 1) - Raum und Qualität im Umfeld

            Neue Arbeitswelten (Teil 1) - Raum und Qualität im Umfeld

            „Die von der wirtschaftlichen Rationalität dominierten Arbeitsräume überschatten die Lebensqualität der Menschen, die dort arbeiten, sie produzieren für die Unternehmen Reibungsverluste ohne Ende und sie verhindern das Gestalten von Gesellschaft.“ John Nisberg

            Der hektische Büroalltag im Kontext von Digitalisierung und Globalisierung bringt immer mehr Mitarbeiter an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Viele Unternehmen beklagen einen Verlust von bis zu 50 Prozent der Personalkosten. Burn-out, Depressionen sowie die innere Kündigung von Mitarbeitern nehmen zu. Gibt es Faktoren, die diese Belastung unbewusst verschlimmern und negativ befeuern?

            Die aktuelle Studie (2019) des Gensler Research Institute liefert einmal mehr interessante Erkenntnisse über das Arbeitsverhalten in Deutschland. Befragt wurden 2.250 Büroangestellte.

            Als Ergebnis der Studie wird deutlich, dass die Arbeitsumgebung einen erheblichen Änderungsbedarf aufzeigt, denn sie hemmt Zusammenarbeit und Innovation. Mitarbeiter haben zudem hohe Erwartungen an Gesundheit und Wohlbefinden, allein, die bestehenden Räume können diese nicht erfüllen. Die Mehrheit der Mitarbeiter wünscht sich offene, arbeitsgemeinschaftliche Räume mit Rückzugsmöglichkeiten.

            Die Studie macht deutlich, dass die Veränderungen in den Bereichen der Arbeitsumgebung – also der Raum in seiner unmittelbaren Umgebung – neben denen der Arbeitsorganisation und Arbeitstechnologien eine wichtige Rolle spielen.

             

            Studie des Gensler Research Institute über die Deutsche Büroarbeitswelt 2019  HIER anfordern

             

            Der Neurobiologe Gerhard Hüther kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: „Ich forsche an lebendigen Gehirnen und weiß deswegen, dass die Dopamin-Achse im Kopf am heftigsten sprudelt, wenn Menschen begeistert sind und über sich hinauswachsen und das erfolgt in der Regel, wenn die Qualität im Umfeld und die Qualität im Umgang stimmt.“

            Wir widmen uns deshalb in unserer neuen Serie „New Work - neue Arbeitswelten“ den Anforderungen an die Arbeitswelt, der Qualität im Umfeld, und den Bedürfnissen der Mitarbeiter, der Qualität im Umgang, im 21. Jahrhundert im Gesamtkontext unserer Perspektive einer Gesunden Organisation.

            Schaut man zurück auf die Ursprünge der Arbeitswelt, lag der Fokus auf einem ganz anderen. Der Begriff „bureau“, stammt ursprünglich von dem von Mönchen entwickelten Filzumschlag zum Schutz ihres kostbarsten Gutes, dem Buch. Daraus wurde in späteren Zeiten ein Raum, der nicht nur allein dem Schutz der Bücher diente, sondern dem Schutze dessen, was noch kostbarer als Bücher ist – dem Schutz des Menschen.

            Von diesem kostbaren Ursprungsgedanke ist heute oft wenig zu spüren, denn die Mehrzahl der Unternehmen sind von einer ökonomischen Rationalität dominiert, die vor allem auf Profit und Effizienz fokussiert ist. Negativer Stress, Depression und Angst sind Fehlermeldungen, die auf Defizite im Umfeld des Menschen hinweisen. Es sind die Symptome, die als Verlust an Motivation wahrgenommen werden. Dieser Verlust an Motivation beeinträchtigt massiv die Lebensqualität von Menschen, sie verursacht in den Unternehmen enorme Reibungsverluste und beschädigt zudem die Gesellschaft.

            Prof. Götz Werner, Firmengründer von dm, sagte über die Motivation: „Ich kann meine Mitarbeiter nicht zur Motivation zwingen, aber ich kann die Umstände zur Motivation schaffen.“ Betrachtet man in diesem Bezug eine Gesunde Organisation, stellt man fest, dass der Faktor Umgebung, also der Raum und wie die Arbeitswelt gestaltet ist, auf alle Bereiche einer Gesunden Organisation ausstrahlt.

             

             

            Qualitaet_Umgebung
            Abbildung 1: Gesunde Organisation - Qualität im Umfeld

             

            Auf alle 7 Dimensionen einer Gesunden Organisation hat der Raum spürbare Auswirkungen. Dies wird im Folgenden anhand von kurzen Beispielen erläutert und im Rahmen der weiteren Serie intensiver beleuchtet.

            Beziehungen auf Augenhöhe:

            Einzelbüros können überhebliche Beziehungen befeuern. Das Gemeinschaftsgefühl tritt in den Hintergrund, Informationen werden nicht offen ausgetauscht. Der Klassiker: die luxuriöse Chefetage, in die der Mitarbeiter aus den unteren Etagen zur Entgegennahme von „Feedback“ zitiert wird.

            Gemeinschaftliche Kultur:

            Um eine gemeinschaftliche Kultur zu schaffen, muss Kultur als Bestandteil des täglichen Lebens reflektiert werden. Hierarchieübergreifende Räume zum sozialen Austausch, gemeinsame Essensmöglichkeiten oder Bewegungsangebote fördern eine gemeinschaftliche Kultur.

            Ein cooles Sofa bringt nichts, wenn es vermeintlich nicht genutzt werden darf, da ja der Eindruck entstehen könnte, dass man darauf nichts arbeite. Wichtig deshalb - vor allem in stark hierarchisch geprägten Unternehmen: Führungskräfte gehen mit gutem Beispiel voran und nutzen die Möglichkeiten, welche die neuen Arbeitsräume bieten.

            Leistungsfähige Mitarbeiter/Innen:

            Jeder Mensch ist anders. Das nennt man persönliche Präferenzen. Und jeder hat im Laufe eines Arbeitstages unterschiedliche Aktivitäten wie konzentrierte Arbeit, Telefonieren, Gespräche etc. Das nennt man Arbeitsmodi. Intelligent gestaltete, multifunktionale Räume werden diesen unterschiedlichen Präferenzen und Arbeitsmodi gerecht. So entfalten Mitarbeiter volles Potenzial und Leistungsfähigkeit.

            Adaptive Strukturen:

            Das Unternehmen wirkt träge und reagiert nur langsam auf Marktveränderungen. Bürokratische Strukturen bestimmen den Arbeitsalltag.

            Für raschen Austausch untereinander und schnelle, kompetente Entscheidungen, die nah am Markt getroffen werden, eignen sich crossfunktionale Teams in Projekt- oder Netzwerkstrukturen. Räume und Arbeitsplätze können dies ermöglichen. Diese Räume atmen, so dass kleinere wie auch größere Teams immer den richtigen Platz für Austausch und Miteinander finden.

            Agile Prozesse:

            Agiles Arbeiten benötigt Visualisierung, Iterationsschleifen und workshopähnliche Arbeitsmöglichkeiten. Mal schnell einen „Design Thinking Workshop“ oder eine Retrospektive durchführen, benötigt Platz, der oft nicht vorhanden ist und dadurch agiles, kreatives Arbeiten verhindert. Einzel- oder Zweierbüros sind dafür völlig ungeeignet. Größere Visualisierungen durch Scrum- oder Kanbanboards sind nur in offenen Räumen mit entsprechendem Material zu leisten.

            Markt- und ressourcenorientierte Strategie:

            Strategie ist die Gesamtheit aller Aktivitäten der Organisation zur nachhaltigen Erreichung des Organisationszwecks sowie der daraus abgeleiteten Ziele. Eine nachhaltige Strategie ist unglaubwürdig, wenn sie sich nur auf dem Papier, nicht aber in der Realität, bspw. durch die Nachhaltigkeit des Gebäudes, wiederspiegelt.

            Der strategisch oft proklamierte Satz „Der Mitarbeiter steht bei uns im Mittelpunkt“ kann hier ebenso deutlich werden, wie eine durchdachte Kundenzentrierung, die sich im Aufbau des Gebäudes manifestiert. Auch die Wahl des Unternehmensstandorts kann ein deutliches Zeichen setzen.

            Fazit:

            Da sich unsere Gesellschaft im beständigen Wandel findet, ist die Arbeitswelt gezwungen, sich diesen Veränderungen anzupassen. Um es positiv zu drehen: Verkrustete Strukturen brechen auf und schaffen Raum für neues Denken, Handeln und Potenzialentfaltung.

            Die Qualität im Umfeld und die Qualität im Umgang sind maßgebliche Treiber für die Mitarbeiter im heutigen Büro. Die Infrastruktur heutiger Büros hinkt den Anforderungen dieser Bedürfnisse noch meist hinterher.

            Die Bedeutung des Raums und die Qualität im Umgang hat erheblichen Einfluss auf die Motivation der Mitarbeiter und auf alle anderen Dimensionen einer Gesunden Organisation.

            Unternehmen tun deshalb gut daran, sich dieses Zusammenhangs bewusst zu werden, Arbeitswelten neu zu gestalten und Investitionen zu tätigen, um ihren Mitarbeitern prosperierende Rahmenbedingungen zu bieten, in denen Bindung und Wachstum möglich sind. Es sind die motivierten und leistungsfähigen Mitarbeiter, die eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit ermöglichen.

             

             


             

            Literatur

            Lehnen, C. Götz Werner im Gespräch:„Mitarbeiter sind keine Kostenfaktoren“ In: PersonalwirtschaftUnterhttps://www.personalwirtschaft.de/fuehrung/artikel/interview-goetz-werner-new-work-experience-2018.html (veröffentlicht am 02.04.2018) 

            Hüther, G.: (2015) Etwas mehr Hirn, bitte: Eine Einladung zur Wiederentdeckung der Freude am eigenen Denken und der Lust am gemeinsamen Gestalten, Vandenhoeck & Ruprecht

            Kallenbach, I. (2016). Führen in der Gesunden Organisation. Außergewöhnliche Leistung durch Potenzialentfaltung. Stuttgart: Schäffer-Poeschel

            Kulick, A.; Quarch, C., Teunen, J.: (2017) Oficina Humana: Das Büro als Lebensraum für Potentialentfaltung, avedition

            Quarch, C.; Teunen, J.: Das Büro – ein Raum mit Seele: In: FAZ online, Unter: https://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/beruf/serie-anders-arbeiten-ein-raum-mit-seele-15356932.html (veröffentlicht am 01.01.2018)

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