Perspektiven (6) Wirk-Kräfte: Wie wir strategisch versiert die Transformation mitgestalten können.
Warum wir nicht mehr können, wie wir wollen!
Führungskräfte sind seit jeher gefordert, Visionen zu entwickeln und zu vermitteln. Die Führungstheorie ist durchtränkt von dem Gedanken, dass eine gute Führerin eine inspirierende Vision hat und diese auf begeisternde Art und Weise mit anderen teilt. In der Transformationalen Führungstheorie nennt sich diese Kompetenz bzw. Eigenschaft z.B. „Inspirierende Motivation“.
Politische Führer werden als Vorbilder herangezogen – Martin Luther King oder Barack Obama hatten und haben Visionen für ihr Land. Das Charisma, das wir diesen Persönlichkeiten zuschreiben, empfinden wir auch aufgrund der attraktiven Geschichte, diesem Zukunftsbild, das uns so magisch anzieht. Doch: In einer Welt, die volatiler und komplexer wird, scheint es schwieriger, diese begeisternden Visionen zu zeichnen, denn woher soll eine Führerin denn noch wissen, was in 10 bis 15 Jahren ist? Wie soll sie eine Geschichte erzählen, die möglicherweise nur eine Halbwertzeit von wenigen Monaten hat, weil sich die Rahmenbedingungen radikal ändern?
In der Tat erscheint die Kombination aus langfristigem Denken und schnellem Handeln zunächst als Widerspruch. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Kurzfristiges Handeln wird auch dadurch sinnhaft und zielgerichtet, dass es sich an größeren Zielen und Leitplanken orientiert.
Mit der Vision im Hinterkopf lassen sich kurzfristige Entscheidungsbedarfe schneller klären. Somit dienen Visionen oder auch Beschreibungen des Purpose einer Organisation als ein Mittel, Komplexität zu reduzieren. Denn sie grenzen mögliche Lösungsräume ein.
Verfolgt ein Unternehmen die Vision, CO2-neutral zu werden, so kann die Frage: „Wie reisen unsere Vertriebler?“ schneller beantwortet werden – da einige mögliche Optionen von vornherein ausgeschlossen werden können. In diesem Fall können die Entscheider SUVs als Dienstwagen und innerdeutsche Flugreisen schon mal ausschließen.
Die Entscheidung wird beschleunigt, da eine langfristige Vision Leitplanken vorgibt. Ergo: Langfristige Visionen können auch kurzfristig für Beschleunigung sorgen.
Unser Nudging-Tipp: Nutzen Sie bei Entscheidungen die Prüffrage: „Wie passt das zu unserer Vision?“ und Sie werden merken, dass manche Diskussion sich schnell erübrigt.
In unserer schnelllebigen Welt kann es andererseits passieren, dass Visionen ihre Gültigkeit verlieren oder schlicht nicht mehr erstrebenswert sind – z.B. weil neue Technologien das gesetzte Ziel überflüssig machen.
Daher sollten Sie bereits bei der Visionsentwicklung potenzielle Sollbruchstellen vermeiden und regelmäßige Kontrolltermine einrichten. Sollbruchstellen entstehen meist durch eine unnötige Spezifizierung bzw. Festlegung. Beispiel: „Wir wollen der führende Anbieter für Blu-ray Discs sein.“ Diese Vision wäre im Jahre 2007 vermutlich sehr erstrebenswert gewesen. Bereits wenige Jahre später zeigte sich allerdings, dass Video-on-demand und Streaming DVDs und Blu-ray Discs schlicht den Rang abgelaufen hatten. Eine Versteifung auf die Blu-ray Technologie hätte das Beispielunternehmen also vermutlich in den Ruin getrieben. Eine bessere Vision wäre gewesen: „Wir möchten der führende Anbieter für Home Entertainment werden.“ Oder „Im Jahr 2020 unterhalten wir täglich 5 Millionen Menschen in Deutschland in ihrem Zuhause.“
Die beispielhaften Visionen zeigen, was wir oben mit „Leitplanken“ beschrieben haben. Eine Vision sollte Spielraum für das „Wie?“ lassen. Der Weg zur Vision darf, ja er muss sogar, offenbleiben. Eine Vision ist also nicht das Erreichen des einen Gipfelkreuzes, sondern eher das Bezwingen eines Gebirges.
Darüber hinaus empfehlen wir, bei jährlichen Veranstaltungen auch Visionskontrollen einzurichten, bei denen Sie Ihre Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen nicht nur fragen „Wo stehen wir auf dem Weg zur Vision?“ sondern auch „Ist unsere Vision noch relevant? Wandern wir noch im richtigen Gebirge?“
Agile Leaders gehen diese Fragen und die Ambiguität von Visionen mit einer gewissen, aber nicht überheblichen, Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit an. Dabei helfen ihnen die in den vorherigen (und die in der nächsten Notiz) beschriebenen Kompetenzen: Bin ich bescheiden, anpassungsfähig und engagiert, bin ich offen, Dinge zu hinterfragen, meinen Mitarbeiter*innen zuzuhören und selbst mit Begeisterung über den Tellerrand zu schauen? Solche Kompetenzen ermöglichen es auch, visionär agieren zu können.
Das Verständnis visionärer Führungskräfte ist somit: Sie schauen nach rechts und links anstatt ein Ziel blind zu verfolgen. Sie schwören andere auf eine Vision ein, ohne ihnen Scheuklappen aufzusetzen. Sie trauen sich, falsch zu liegen und den Kurs zu korrigieren anstatt stoisch weiterzurennen. Und sie schaffen es, für alle verständlich die Verbindung vom Morgen ins Heute zu setzen.
Das Resultat ist ein Kontext, indem man sich orientieren und schnelle Entscheidungen treffen kann. Agile Leaders trauen sich, andere an der Vision mitgestalten zu lassen. Es ist nicht ihre alleinige Vision – es ist ein gemeinsam entwickeltes Bild von der Zukunft.
Zuletzt möchten wir Ihnen noch ein paar Empfehlungen an die Hand geben, die Ihnen helfen sollen, selbst als agile Führungskraft visionär zu handeln und zu kommunizieren:
Agile Leaders sind Visionäre. Aber nicht im klassischen Sinne. Sie sehen Chancen und Möglichkeiten, indem sie die Außenwelt betrachten. Sie entwickeln Zukunftsbilder, indem sie andere mitzeichnen lassen. Sie schaffen es, gleichzeitig kurzfristig flexibel zu bleiben, indem sie das „Wie?“ denjenigen überlassen, die situativ am besten entscheiden können. Und Sie begeistern andere für die Vision, weil sie diese mit anderen teilen und mitgestalten lassen, statt sie von oben herab herunterzubrechen.
Neubauer, Tarling, Wade (2017) Redefining Leadership for a Digital Age. IMD International Institute for Management Development und metaBeratung GmbH
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